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Web-Abzocke: Wie sich Verbraucher gegen Abo-Fallen wehren können (Spiegel Online, 11.7.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen

Web-Abzocke

Wie sich Verbraucher gegen Abo-Fallen wehren können

Routenplaner und Rezepte: Wer arglos auf manchen solcher Serviceseiten Formulare ausfüllt, bekommt fix Mahnungen über vermeintliche Abo-Gebühren. Gerichte nennen die Seitengestaltung unzulässig, und die Staatsanwaltschaft ermittelt. Aber noch läuft die Abzocke weiter.

Spiegel Online, 11.7.2008

Man kann es ja mal versuchen: Seit Monaten verlangt die Münchner
Anwältin Katja Günther in immer neuen Mahnungen von einem
SPIEGEL-ONLINE-Mitarbeiter die Bezahlung eines Abos. Angeblich hat der
Kollege um 15.39 Uhr am 20. Dezember vorigen Jahres von einer
IP-Adresse des Internet-Providers Freenet aus ein Abo auf der
zwielichtigen Seite Online-routenplaner.de abgeschlossen. Drei Monate
Zugang für knapp 60 Euro.


Nur: So kann es nicht gewesen sein. Denn zu der Zeit arbeitete der
Kollege nachweislich in der Redaktion und kann die Seite gar nicht
unter der Freenet-IP-Adresse aufgerufen haben.

Inzwischen hat Anwältin Günther die Forderung kräftig aufgestockt:
Samt Verzugszinsen und Anwaltsgebühren verlangt sie nach drei Monaten
Mahnerei mehr als 100 Euro für den angeblichen "Dienstleistungsvertrag"
mit ihrer Mandantin, der Online Content Ltd.. Googelt man den
Firmennamen, wird schnell das enorme Ausmaß der anwaltlich
eingetriebenen Zahlungsforderungen dieser Firma für Web-Abos deutlich:
Ein paar tausend Treffer liefert Google, weit vorne in der
Ergebnisliste sind Seiten mit Aussagen wie:

SPIEGEL ONLINE hat mehr als ein Dutzend Internet-Angebote des
Anbieters gesichtet, alle sind nach demselben Muster aufgebaut: Die
Startseite wirbt für das Angebot, klickt man weiter, müssen Name,
Adresse, E-Mail-Kontakt und Geburtsdatum in ein Formular getippt
werden.

Im Kleingedruckten am Ende der Formularseite stehen Fußnoten wie
diese: "Der einmalige Preis für einen Drei-Monats-Zugang zu unserem
Routenplaner beträgt 59,95 Euro inkl. gesetzlicher Mehrwertsteuer."

Vier Dinge fallen bei diesen Angeboten auf:

  • Zu den kostenpflichtigen Angeboten der
    Online Content Ltd. – Routenplaner, Gedichte, Rezepte und Hausaufgaben
    – gibt es im Web viele kostenlose Alternativen.
  • Die Abopreise führen die Seiten der
    Online Content Ltd. in einem kleinen Fußnotentext unter dem
    Anmeldeformular und versteckt in den Geschäftsbedingungen auf.
  • Anders als Online-Shops es gewöhnlich
    tun, verlangen die Angebote der Online Content Ltd. keine Auswahl einer
    Zahlungsart, bieten keine Zahlung per Kreditkarte, Bankeinzug oder über
    einen Dienstleister wie Paypal. Die Folge: Wer das Formular flüchtig
    ausfüllt, ohne die Fußnoten zu lesen, kommt kaum auf die Idee, dass er
    zahlen muss.
  • Da keine Zahlungsdaten angeben werden
    müssen, kann die Formulare jeder mit im Web abgreifbaren Daten anderer
    ausfüllen – so wie es offensichtlich beim vermeintlichen
    Routenplaner-Abo des Mitarbeiters von SPIEGEL ONLINE geschehen ist.

Diese Gestaltung der Bezahl-Web-Seiten hat zuletzt das
Oberlandesgericht Frankfurt als unzulässig erklärt – für vier der
Angebote von Online Service Ltd..

Gericht nennt Abo-Seiten irreführend

In dem nun bekannt
gewordenen, SPIEGEL ONLINE vorliegenden Beschluss (6 U 266/07) führt
das Gericht aus: "Die hier im Streit stehenden Sternchenhinweise sind
schon deshalb nicht klar und unmissverständlich, weil die
Werbeadressaten überhaupt nicht in Erwägung ziehen, etwas für die
Teilnahme an dem Lebenserwartungstest, dem Berufswahltest, dem IQ-Test
oder dem Flirt-Portal zahlen zu müssen."

Daraufhin ist jetzt ein Urteil gegen die Online Service Ltd. vom
vorigen Dezember rechtskräftig geworden. Damals urteilte das
Landgericht Hanau (Az. 9 O 870/07), dass die Online Service Ltd. die
Preise für die Dienstleistungen auf vier beanstandeten Seiten versteckt
und damit gegen die Preisangabenverordnung und das Wettbewerbsrecht
verstößt. Geklagt hatte der Dachverband der Verbraucherzentralen
(VZBV). Thomas Bradler, der Justiziar des Verbandes, schätzt, dass sich
in Deutschland "jeden Monat rund 20.000 Web-Nutzer bei solchen
Abo-Fallen im Internet registrieren".

Mahnungswelle per Mailing-Dienstleister

Wie viele vermeintliche Abo-Abschlüsse davon auf die Online Service Ltd. oder Online Content Ltd. entfallen, ist unbekannt. Weder das Unternehmen noch dessen
Anwältin Katja Günther haben auf Anfragen von SPIEGEL ONLINE reagiert.
Aber das Unternehmen ist offensichtlich schon länger in diesem
Geschäft. VZBV-Justiziar Bradler berichtet: "Mit den Anbietern hinter
Angeboten wie Online-routenplaner.de oder hausaufgaben-server.com haben
wir seit eineinhalb Jahren zu tun. Die als Betreiber angegebenen
Unternehmen haben mehrfach gewechselt, eine Zeit lang war es die
NetContent Ltd., derzeit ist es die Online Content Ltd.."

Die Zahlungen treibt Anwältin Katja Günther im großen Stil für die
Online Content Ltd. ein. Bei der letzten großen Mahnungswelle, die
bekannt wurde, verschickte Günthers Kanzlei Mahnungs-E-Mails mit
Betreffzeilen wie "ANWALTLICHE MAHNUNG / AZ […] / Online Content
LTD." über den Mailing-Dienstleister Emarsys, der zum Beispiel für Ebay
den Großversand von Newslettern abwickelt. Emarsys stoppte den Versand
nach einem Hinweis des IT-Fachmagazins iX.

GEGENWEHR: SO KÄMPFEN VERBRAUCHERSCHÜTZER GEGEN WEB-ABZOCKE


Wie ist die Abo-Abzocke zu stoppen? Verbraucherschützer setzen auf Informationskampagnen, Musterprozesse und neue Gesetze.

Web-Angebote prüfen
Wer im Web unterwegs ist, sollte Fußnotentexte und AGBs bei Angeboten
sehr genau prüfen, bevor er persönliche Daten in Formulare tippt. Die Screenshots in der SPIEGEL-ONLINE-Fotostrecke
geben einen Eindruck, wie Angebote die Abo-Hinweise verstecken. Gegen
kriminelle Spaßvögel, die in solche Abzockformulare einfach Namen und
Anschriften anderer Menschen tippen, wie höchstwahrscheinlich im Fall
eines SPIEGEL ONLINE-Mitarbeiters geschehen, hilft auch alle Vorsicht
nicht.

Angebliche Abonnenten sollten nicht zahlen
Den Empfängern solcher Mahnung raten die Verbraucherzentralen, nicht zu zahlen, wenn die Forderungen unberechtigt sind. In einem Service-Beitrag führt die Verbraucherzentrale NRW zum Beispiel aus: "Auch wer bei einer solchen Forderung mit Mahnungen und Schreiben von Inkassobüros oder Rechtsanwälten überhäuft wird, sollte sich auf keinen Fall einschüchtern lassen." Die Verbraucherschützer bieten auch Widerspruchsmusterbriefe für Betroffene an.VZBV-Justiziar Bradler erklärt: "Wir schätzen die Chancen der Unternehmen, ihre Zahlungsforderungen vor Gericht durchzusetzen als gering ein." Dass Online Content Ltd. das in Einzelfällen versucht, ist allerdings nicht auszuschließen – die Entscheidungen der Gerichte in Frankfurt und Hanau beziehen sich auf Wettbewerbsrecht, vier konkrete Angebote und deren Gestaltung zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Wettbewerbsrechtliche Prozesse
Jurist Bradler vom VZBV erwartet von solchen Prozessen daher auch nicht eine endgültige Lösung des Problems: "Für diese Abo-Angebote mit gut versteckten Kosten ist kein Ende abzusehen." Mit den von Verbraucherschützern angestrengten Prozessen allein seien die Betreiber nicht zu stoppen: "Sobald ein neu gegründetes Unternehmen die Dienste betreibt oder die Seiten etwas anders gestaltet sind, gilt ein altes Urteil nicht mehr und wir müssen erneut klagen. Das dauert."

Neues Gesetz gegen Abo-Abzocke
Verbraucherschützer hoffen, dass der Bundestag irgendwann den gesetzlichen Rahmen für solche Angebot enger fasst. Bradler: "Ein Gesetz sollte die Anbieter von Web-Abo-Diensten auf möglichst konkret vorgegebenen Verfahren verpflichten, wie sie etwaige Kunden über die Preise der Web-Dienstleistungen zu informieren haben." 

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Mahnanwältin

Noch bevor aber die Gesetzesinitiative gegen Abo-Abzocke im Web
kommt, könnten zumindest die Mahnungen von der Kanzlei Günther ein
anderes Ende finden. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt gegen
die Anwältin Katja Günther, wie der leitende Oberstaatsanwalt Christian
Schmidt-Sommerfeld auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE bestätigte: "Es ist
ein größeres Ermittlungsverfahren, das sich aus mehreren Anzeigen und
einer Zuleitung der Rechtsanwaltskammer München zusammensetzt. Wir
prüfen noch, welche Straftatbestände hier erfüllt sein könnten."

Die Ermittlungen dürften sich also noch einige Zeit hinziehen. Ob
Anklage erhoben wird, ist unklar. Anwältin Günther hat per Fax und
E-Mail übermittelte Fragen von SPIEGEL ONLINE zu ihrer Tätigkeit für
die Online Content Ltd. nicht in der gesetzten Frist beantwortet, sie
war unter keiner der in den Gelben Seiten und ihren Schreiben
aufgeführten Nummern zu erreichen.

Ein Fax an den sogenannten Kundensupport des Angebots
Online-Routenplaner.de blieb ebenfalls unbeantwortet, eine E-Mail an
die im Web angegebene Adresse wurde mit einem Standardschreiben
beantwortet.

Statt auf die Fragen zum Geschäftsgebaren des Unternehmen
einzugehen, vermutete der Support offenbar die "Beanstandung" einer
Rechnung und führte forsch aus: "Unsere Aufzeichnungen belegen Ihre
Anmeldung unter Angabe Ihrer E-Mail-Adresse. An diese Adresse wurde
Ihnen ein Aktivierungs-Link für den Zugang zum Mitgliedsbereich
gesandt."

Offenbar geht das Unternehmen also davon aus, dass alle E-Mails von Kunden Rechnungen beanstanden.

Könnte stimmen.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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