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Web-Lexikon: Deutscher Wiki-Scanner entblößt Selbstdarsteller (Spiegel Online, 24.8.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Web-Lexikon

Deutscher Wiki-Scanner entblößt Selbstdarsteller

Jetzt kann man auch in der deutschen Wikipedia-Version nachspüren, wer Einträge anonym geschönt hat. SPIEGEL ONLINE hat schon Manipulationen entdeckt – jetzt sind Hobby-Rechercheure gefragt, anrüchige Änderungen publik zu machen.

Spiegel Online, 24.8.2007, mit Matthias Kremp

In Australien liefert das Programm Wiki-Scanner sogar schon Munition für den Wahlkampf: "Ich stelle fest, dass der Ministerpräsident öffentlich Bedienstete benutzt, um Wikipedia-Einträge umzuschreiben", sagte der Oppositionsführer Kevin Rudd dem australischen Fernsehsender "Channel 7". Zuvor hatten australische Zeitungen berichtet, aus dem Computernetz des Premierminister-Büros seien regierungskritische Einträge in der englischsprachigen Wikipedia schön geschrieben worden.

Aufgedeckt haben das Rechercheure mit dem Programm Wiki-Scanner. Seit elf Tagen kann mit der Software des US-Studenten Virgil Griffith jedermann Schönschreibern in der englischsprachigen Wikipedia nachspüren. Im englischsprachigen ist das Wiki-Schnüffeln Netz schon zum Nerd-Sport geworden – das Online-Magazin "Wired" sammelt bereits Einsendungen der schlimmsten Wikipedia-Änderungen und lässt seine Leser über deren Anrüchigkeit abstimmen.
Seit Freitagmorgen kann das auch in Deutschland losgehen: Die deutschsprachige Version des Programms ist online. Der deutsche Wiki-Scanner hat knapp acht Millionen anonyme Veränderungen analysiert. Sie Änderungen stammen aus den Computernetzen von mehr als 50.000 Organisationen, Behörden und Unternehmen.

Legitime Ergänzungen, keine Skandale, etliche Kuriositäten

Dass aus einem Unternehmensnetz Wikipedia-Artikel umgeschrieben werden, ist per se noch nicht anrüchig. Recherchen von SPIEGEL ONLINE förderten zumeist harmlose Rechtschreibkorrekturen und sachliche Ergänzungen, Berichtigungen und Verbesserungen aus den Computernetzen von Bundestag, Bundeswehr, Parteien und zahlreichen Unternehmen zutage.

Eine eigene Wikipedia-Seite, auf der deutsche Hobby-Rechercheure merkwürdige Veränderungen eintragen sollen gibt es bereits. Bislang sind dort allerdings nur wenige amüsante Änderungen eingetragen. Doch mit der deutschen Version des Wiki-Scanners kommt man auf Anhieb einigen interessanten Manipulationen durch Firmen auf die Schliche.

Stichprobenartig hat SPIEGEL ONLINE einige Firmen überprüft und kam dabei einigen sehr aufschlussreichen Manipulationen auf die Schliche – sehen Sie selbst:

Bei Dell tut jemand was fürs Image

Beim PC-Hersteller Dell war es jemandem offenbar gar nicht recht, als im August 2006 in der Wikipedia zu lesen war, Dell habe einen leichten Imageschaden erlitten, nachdem Dell-Laptops "von selbst in Flammen aufgingen". Zudem passte es demjenigen wohl nicht, dass der Autor dieser Ergänzung überdies Dells Preispolitik kritisierte. Noch am selben Tag wurde der entsprechende Passus von einem Computer aus dem Dell-Netzwerk gelöscht.

"Leider hat Dell auch eine zumindest fragwürdige Preispolitik: die angebotenen Systeme werden exklusive einer Versandpauschale von ca. 75 Euro offeriert", hieß es in dem Beitrag. "Ein zunächst angegebener Preis ist daher grundsätzlich nicht der Kundenendpreis, was streng genommen nicht dem Wettbewerbsrecht in der EU entspricht." Dieser Eintrag hatte nur eine Verweildauer von knapp über 17 Stunden.

Auf Nachfrage erklärte Dell-Pressesprecher Michael Rufer SPIEGEL ONLINE, dass er über diese Änderung nicht informiert sei. Da zudem "quasi jeder auf Wikipedia Änderungen vornehmen kann", könne er die Änderungen leider nicht nachvollziehen. Außerdem habe es keinen Anlass gegeben, "die Informationen zur Batterie-Rücknahme zu löschen, da diese bereits allgemein bekannt sind". Er habe lediglich einmal eine Änderung an einem Eintrag in der Wikipedia ergänzt, in Zusammenarbeit mit einer Wikipedia-Administratorin.

Zum Teufel mit der Konkurrenz

Beim Berliner Lautsprecherhersteller Teufel ging es offenbar jemandem gegen den Strich, dass es im Wikipedia-Eintrag über die Firma hieß, seit 1990 würden von Teufel "nur noch Fertiglautsprecher im Direktversand angeboten (ähnlich wie Nubert)". Ausgerechnet Nubert, mögen die Berliner gedacht haben. Schließlich ist Nubert ein direkter Konkurrent des Unternehmens. Folglich tilgte ein Mitarbeiter den Hinweis auf den baden-württembergischen Boxenhersteller kurzerhand. Damit nicht genug: Später fügte jemand aus Teufels Computer-Netz noch ein wenig Selbstbeweihräucherung ein: "2003 erwies sich Teufel erneut als Trendsetter und bietet seitdem auch vollaktive Lautsprechersysteme zur Verwendung an PCs an."

Allerdings, so Teufels Marketing-Direktor Andreas Maschlanka, erfolgten die Änderungen "nicht auf Anweisung der Geschäftsleitung, sondern aus Eigeninitiative unserer MitarbeiterInnen". Die seien schließlich den ganzen Tag im Web unterwegs und erhielten zudem von Kunden "Hinweise und Informationen zu Web-Beiträgen, die unsere Firma oder unsere Produkte betreffen". So könne es schon mal vorkommen, dass, so Maschlanka, "ein Mitarbeiter unseres Hauses einmal Korrekturen oder Aktualisierungen im Lautsprecher-Teufel-Eintrag vorgenommen hat."

Wenig erotische Selbstdarstellung

Wie schnell ein an sich durchaus interessanter Eintrag von einem Unternehmen zum Selbstdarstellungs-Epos verbastelt werden kann, demonstriert der Flensburger Erotik-Versender Orion. In einer früheren Version des Textes zur dieser Firma lieferte ein Autor Infos zur Geschichte des in den vierziger Jahren gegründeten Unternehmens, aus dem "das Ehepaar Rotermund einen Versand für Kondome in Flensburg aufbaute". Schon dieser Text ist fast wortgleich auf der Orion-Webseite zu lesen.

Dennoch wurde er im Dezember 2005 von einem PC aus dem Netzwerk des Unternehmens rigoros gelöscht und durch einen teilweise recht werblichen ersetzt, in dem es beispielsweise heißt, Orion sei "ein international erfolgreich-innovatives Unternehmen mit Versandhäusern und über 150 Fachgeschäften". Dieselben Worthülsen könnten auch in einem Unternehmensprospekt stehen. Das passte offenbar den ursprünglichen Autor nicht – und so machte er die Änderungen wieder rückgängig, was wiederum von Orion rückgängig gemacht wurde.

Orion-Pressesprecherin Ann-Kathrin Döbbeke findet daran nichts Verwerfliches. "Wenn uns Unrichtigkeiten oder falsche Darstellungen auffallen, dann ändern wir die natürlich", sagte sie zu SPIEGEL ONLINE. Schließlich, so Döbbeke, wisse man, "dass das gelesen wird und auf uns zurückfällt, wenn da etwas Falsches steht". Deshalb habe man den Text geändert und beobachte auch jetzt noch regelmäßig, ob sich beim Wikipedia-Eintrag des Unternehmens etwas tut. "Wir finden es gefährlich, dass in der Wikipedia jedermann ungeprüft Änderungen vornehmen kann", sagte die Pressesprecherin.

Produkt-Beschreibung aus dem BMW-Netz

Der Autor schien Hellseher zu sein: Am 21. März schrieb jemand, der offenbar an einem Computer im BMW-Netzwerk saß, im Wikipedia-Eintrag zum 1er-Modell: "Am 24. März 2007 rollt die Modellüberarbeitung des BMW 1er zu den Händlern." Aber vielleicht war das kein Orakelspruch, sondern eine schlichte Produktankündigung im Netz-Lexikon.

Der Eintrag liest sich entsprechend: "Den größten Fortschritt macht die Modellüberarbeitung des BMW 1er allerdings unter dem Blech." Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE teilte BMW mit, es gehöre nicht zur Kommunikationspolitik des Unternehmens, Wikipedia-Artikel zu ergänzen, da habe wohl ein übereifriger Mitarbeiter eigenmächtig gehandelt. Die Regel scheinen solche Änderungen aus dem BMW-Netz aber nicht zu sein – bei anderen Wikipedia-Einträgen waren vergleichbare Produktbeschreibungen aus dem BMW-Computernetz nicht zu finden.

Panasonic putzt die Nase

Nicht immer geht es darum, Kritik zu tilgen oder sich selbst in einem besonders strahlenden Licht zu präsentieren. So machte sich offenbar jemand aus dem Computernetz des Elektronikherstellers Panasonic am Wikipedia-Eintrag zum Thema Nasenhaare zu schaffen.

Allerdings veränderte er den Text dabei nicht, sondern ergänzte ihn lediglich um die Angabe, dass es einen Panasonic-Haarscheider gebe, der sich vortrefflich für die Pflege der sprießenden Haarpracht im Riechorgan eigne. Auch so kann man Product-Placement betreiben.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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