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Websprache: Kindliches Kätzchen-Englisch überrollt Netzforen (Spiegel Online, 20.1.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Websprache

Kindliches Kätzchen-Englisch überrollt Netzforen

Niedliche Katzenfotos, absurde Sprüche, möglichst viele Grammatikfehler: Nach diesem Schema hat ein arbeitsloser US-Programmierer binnen eines Jahres eine sehr lukrative Webseite aufgebaut – und die Websprache verändert. Das Katzen-Kauderwelsch dominiert US-Blogs.

Spiegel Online, 20.1.2008

Der US-Programmierer Eric Nakagawa hatte vor einem Jahr viel Zeit, um im Web surfen: Seinen vorigen Job hatte er hinter sich, einen neuen noch nicht Aussicht. Also saß er vorigen Januar zuhause in Honolulu, surfte und entdeckte das Foto einer knubbeligen schwarzen Katze, die mit großen Augen und halboffenem Mund knapp an der Kamera vorbeistarrt. Nakagawa stellte das Bild mit dem kruden Satz "I can has Cheezburger" (zu deutsch ungefähr: "Ich kann hat Cheezburger?") auf eine Webseite.

Ein Jahr später ist aus dem albernen Scherz eine Webseite geworden, von deren Werbeeinnahmen Nakagawa leben kann. Icanhascheezburger.com rufen laut Nakagawa täglich gut 200.000 Menschen auf. Bis zu 500 Katzenfotos mit albernen, absurden und manchmal wirklich witzigen Zeilen schicken die Fans täglich ein – die besten stellt Nakagawa ins Web.

4000 Dollar für eine Anzeige im Katzen-Kauderwelsch

Seit vorigem Mai lebt er ausschließlich von den Katzen-Werbeeinnahmen, gab alle Programmierjobs auf. Dem US-Magazin "Businessweek" erzählte Nakagawa: "Es war sinnvoller, sich auf die Seite zu konzentrieren und zu prüfen, wie groß das werden kann." Sehr groß offenbar. Der teuerste Werbeplatz auf Icanhascheezburger.com kostet knapp 4000 Dollar wöchentlich.

Es gibt inzwischen viele andere Seiten mit ähnlichen Katzen-Bildern, das Phänomen hat seit dem 27. Februar 2007 sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag als "Internet-Phänomen" unter dem Schlagwort "Lolcats" (Lol steht für "Laughing out loud" – laut lachend). "New York Times", "Wall Street Journal", "Businessweek", "Time" – alle großen US-Medien haben schon über die Netz-Katzensprache geschrieben.

Die meisten Lolcat-Bildchen sind nach diesem Prinzip konstruiert:

  • Ein unerträglich niedliches, gerne auch mit dem Computer möglichst trashig und übertrieben bearbeitetes Foto einer Katze ist die Grundlage.
  • In weißer, serifenloser Schrift (Arial oder Helvetica zum Beispiel) mit schwarzem Rand knallt der Bearbeiter einen Spruch in dieses Bild.
  • Grammatik wird, so weit es geht, missachtet: Verben stehen in falscher Abfolge, im Plural, obwohl das Subjekt im Singular steht.
  • Die Rechtschreibung muss nach ein paar Regeln gebrochen werden: Z statt S, the wird zu teh und so weiter. Grundregel: Solange es ausgesprochen richtig klingt, kann ein Wort fast beliebig buchstabiert werden.
  • Lolcat-Bildermacher verniedlichen, wo immer es geht: Aus Katzen werden zum Beispiel fast immer Kätzchen.
  • Ausrufezeichen und Akronyme aus der Websprache streuen die Autoren großzügig in ihre Lolcat-Werke, zum Beispiel OMG!!! (Oh my god), WTF (What the fuck), LAWLZ (für Lol, Laughing out loud).
  • In dieser Diktion schreiben inzwischen auch andere, von Katzen unbelastete Webseiten: Google verzeichnet im Web gut 1,7 Millionen Seiten mit dem Satzanfang: "I can has". Als der Weblog-Software-Anbieter LiveJournal im vorigen Jahr eine Partnerschaft mit der Fotoseite Photobucket verkündete, stand im LiveJournal-Firmenblog: "We has a Photobucket", das IT-Klatschblog Valleywag streut gerne Sätze ein wie "I’m in ur threadz, following ur comments".


Die Konkurrenz von Techcrunch bietet gleich das komplette Weblog in einer in Lolcat-Englisch übersetzten Fassung. Die Meldung, dass sich China zum größten Internetmarkt (nach Einwohnern, die online sind) entwickelt, illustriert dort eine dicke rote Katze, um deren Bauch jemand ein Maßband schlingt (28 Inch Bauchumfang!). Überschrift: "china close 2 becomin world larges internet market".

Freiwillige übersetzen Bibel ins Katzen-Kauderwelsch

Warum diese Kindersprache so beliebt ist, hat bislang noch kein Beobachter der Netzkultur erklärt. Der Blogger-Veteran Anil Dash, Vizechef von LiveJournal, spekulierte im "Wall Street Journal": "Früher waren Insider-Witze geographisch und sozial begrenzt. Das hier ist ein sehr großer Insider-Witz, da verwischt die Grenze zwischen den Netzveteranen und den normalen Nutzern."

Dash prophezeite in seinem Blog, es werde bald womöglich eine Google-Übersetzungsmaschine für Katzen-Englisch geben, vielleicht eine Shakespeare-Übersetzung oder die Bibel in Lolcat-Diktion.

Ein paar Monate nach dieser Prognose hat das Lolcat-Bibel-Projekt im Web einen großen Teil des alten Testaments übersetzt. Es beginnt so:

"Oh hai. In teh beginnin Ceiling Cat maded teh skiez An da Urfs, but he did not eated dem."

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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