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Webtipp: Die Chronik der skurrilsten Netz-Späße (Spiegel Online, 9.8.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Webtipp

Die Chronik der skurrilsten Netz-Späße

Das Internet-Orakel, der Tourist Guy und viele dicke Katzen, die ganz schlechtes Englisch sprechen – über diese Web-Phänomene lachten Millionen. Ein neues Online-Archiv sammelt die absurdesten Späße – eine Zeitleiste das abseitigen Online-Humors.

Spiegel Online, 9.8.2008

Die Schneeeule linst nach rechts zu Paris Hilton hinüber und fragt:
"Ach wirklich?" Die Millionenerbin spricht im Badeanzug über ihre
mögliche Kandidatur fürs Amt der US-Präsidentin. So sieht es aus, wenn
der Webdienst Dipity die skurrilsten Web-Phänomene der vergangenen fünf
Jahre in einer bildschirmbreiten Zeitleiste zusammenfasst.

Diese Sammlung der sogenannten "Internet Memes" verknüpft Fotos,
Videos und kurze Passagen aus Wikipedia-Artikeln. Neben alten Bekannten
sind hier auch einige Web-Phänomene zu finden, die schon ein halbe
Netzewigkeit zurückliegen und damals schon eher in eingeschworenen
Gruppen die Runde machten.


Zum Beispiel die Schneeeule: Sie fragt in Kürzel-Englisch "O RLY?",
eine Abkürzung für "Oh, really?". Also ein spöttisches "Ach, wirklich?"
oder "tatsächlich". Diese Redewendung, so erzählt es Wikipedia, tauchte
zuerst im August 2003 in Forendebatten auf der Satireseite "Something
Awful" auf – meist als schnippische Zwei-Wort-Antwort-Reaktion auf
widersprüchliche oder das Offensichtliche erklärende Beiträge.

Dieses höhnische "O RLY" pappte dann ein Scherzbold im
berüchtigten Webforum 4Chan (mehr…)
auf das Foto der erstaunten Schneeeule – fertig war das Web-Phänomen.
Nach demselben Prinzip funktionieren die sogenannten Lolcats-Fotos,
deren erste Sichtung im Web die Chronik von "Internet Memes" 2006
verortet. Damals stellte der US-Programmierer Eric Nakagawa das Foto
einer schwarzen Pummel-Katze, die mit großen Augen und halboffenem Mund
an der Kamera vorbeistarrt, ins Web – versehen mit dem kruden Satz: "I
can has Cheezburger?" – zu deutsch etwa "Ich kann haben Cheezburger?"

Nach diesem Prinzip "niedliche Katzenfotos, absurde Sprüche, viele
Grammatikfehler" aufgebaute Fotos haben inzwischen eine riesige
Fangemeinde im Web – Nakagawas Seite rufen täglich gut 200.000 Besucher
auf.

In der Zeitleiste der "Internet Memes" tauchen viele solcher alten,
inzwischen sehr populären Web-Phänomene auf. Zum Beispiel das Failblog,
in dem regelmäßig Fotos das Versagen armer Tollpatsche dokumentieren,
oft garniert mit gehässigen Kommentaren. Oder Gary Brolsma, der vor
vier Jahren zu einem billigen Eurodance-Liedchen in eine Webcam
"Ma-ia-hii, mai-ia-huu, mai-hoo, ma-ia-haha" trällerte, das Filmchen
bei Youtube einstellte und 700 Millionen Fans fand.

Diese Zeitleiste der Internet-Memen hat ein Nutzer der Web-Plattform
Dipity erstellt. Mit diesem kostenlose Web-Werkzeug lassen sich
Artikel, Fotos, Videos und RSS-Feeds ganz einfach in einem schicken,
Flash-animierten Zeitstrahl sortieren und dann auch auf anderen Seiten
im Web einbinden (siehe unten) – ganz ähnlich wie bei Youtube-Clips.

Diese Dipity-Chroniken können mehrere registrierte Nutzer ergänzen
und bearbeiten. Bei den Internet-Memen funktioniert das bislang ganz
gut: Man findet derzeit viele sinnvolle Ergänzungen und keinen
Kommentar-Vandalismus. Die Sammlung beginnt derzeit 1976 – mit dem
"Internet Orakel", bei dem im Netzwerk einer US-Universität eine
Spaß-Software die Fragen an das Orakel mit anonymisierten Fragen
anderer Nutzer beantwortete. Die erste Kaffeemaschinen-Webcam (1993!)
verzeichnet die Mem-Sammlung auch schon.

Nur die Mem-Chronik selbst fehlt derzeit noch auf dem Zeitstrahl –
aber bei bislang einer Viertelmillion Seitenaufrufen könnte das noch
werden.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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