Weihnachten bald auch für Amazon-Mitarbeiter? (telepolis 30.11.2000)
Weihnachten bald auch für Amazon-Mitarbeiter?
Bei Amazon gibt es nur Elfen und Eigentümer. Allerdings taucht bloß einer davon in der Forbes 400 der reichsten Männer Amerikas auf. Die übrigen versuchen jetzt eine Gewerkschaftsgründung.
telepolis 30.11.2000
Amazon- Gründer Jeffrey Bezos nennt seine Mitarbeiter gern „Elfen“. Vor allem zur Weihnachtszeit. Denn da müssen die ohnehin vergleichsweise schlecht bezahlten Arbeiter in den acht US-Logistikzentren des Internetversandhauses Pflichtüberstunden leisten, an mindestens einem der Weihnachts- und Neujahrsfeiertage arbeiten – Urlaub ist eh pauschal gestrichen. Eine 50 Stundenwoche ist die Regel, 70 Stunden in Spitzenzeiten durchaus drin. Die Stundenlöhne schwanken je nach US-Bundesstaat zwischen 7 und 9,25 Dollar. Ein Milliardenunternehmen mit den Arbeitsbedingungen eines Start-Ups.
Aber vielleicht reicht es diesmal nicht, den Elfen zu schmeicheln und Autogramme auf T-Shirts zu schreiben. Mitte November begann eine Kampagne zur gewerkschaftlichen Organisation der Amazon- Mitarbeiter. Während in Seattle die „Washington Alliance of Technology Workers“ (http://www.washtech.org/) versucht, 400 Kundendienstler zu organisieren, bemüht sich der Prewitt Organizing Fund um eine weltweite gewerkschaftliche Repräsentation der 5000 Arbeiter im Logistikbereich.
Amazon reagiert trotz der öffentlichen Beteuerung man wolle „die Entscheidung den Mitarbeitern überlassen“ massiv auf die Bestrebungen. Eine Seite des Intranets des Unternehmens etwa listete Argumente auf, mit denen Vorgesetzte ihre Untergebenen von den Gefahren der Gewerkschaft überzeugen sollen. Wie die New York Times berichtet, habe es zahlreiche Versammlungen gegeben, bei denen das Management die Risiken der gewerkschaftlichen Organisation ausmalte. „Schade, dass dieses High-Tech Unternehmen die selben wüsten Dinge über Gewerkschaften sagt wie Fabrikbesitzer vor 100 Jahren“, kritisiert Duane Stillwell vom Prewitt Organizing Fund.
Unterstützt wird dies in Frankreich von der Gewerkschaft SUD. Amazon hat hier bei Orleans ein Logistikzentrum mit derzeit 50 Mitarbeitern. SUD-Sprecher Luc Lecornu spricht derzeit noch von symbolischen „Solidaritätsaktionen“ für die Kollegen in den USA wie etwa einer Pressekonferenzen vor dem Werk in der vergangenen Woche. Auf lange Sicht aber diskutiere man durchaus eine eigene Gewerkschaft für die Amazon- Mitarbeiter.
In Deutschland wird die US- Initiative von dem „Projekt Logistik“, einer Arbeitsgruppe der Gewerkschaften DAG, DPG, HBV und ÖTV, unterstützt. In Bad Hersfeld, wo das deutsche Amazon Logistik- Zentrum 500 Menschen beschäftigt, [Infos zu Löhnen aus Gespräch mit Hans Ries] liegt der Lohn mit 16,50 unter den tariflichen 17,80 Mark.
Der Zeitpunkt der Gewerkschafts- Aktion ist gut gewählt. Vom diesjährigen Weihnachtsverkauf erhofft sich Bezos einen Umsatz von über einer Milliarden Dollar. Amazon hat in der ersten Novemberhälfte seine US-Lager mit 7,2 Millionen Objekten gefüllt – im vergangenen Jahr waren es in November und Dezember zusammen 20 Millionen.
Bis Jahresende darf Bezos es sich mit seinen Elfen also nicht verscherzen und so sagt er Sätze wie: „Alle sind an diesem Unternehmen beteiligt. Wir brauchen keine Gewerkschaften bei Amazon.“ Aktienoptionen haben in der Tat alle Mitarbeiter. Nur ist der Kurs in den vergangenen zwölf Monaten um etwa 70 Prozent gefallen. Und so sind die meisten Mitarbeiter weit davon entfernt, ihre Optionen realisieren zu können. Bei Amazon Deutschland etwa haben Mitarbeiter Optionen auf 500 Aktien bei einem Kurs von 67 Dollar. Zur Zeit schwankt die Aktie aber bloß um die 25 Dollar.
Jeff Bezos spricht gern davon, es gebe bei Amazon nur Eigentümer. Allerdings findet sich von denen nur einer seit 1998 in der Forbes Top 400 der reichsten Männer Amerikas. 1999 mit 7,8 Milliarden Dollar auf Platz 18., nach Kursverlusten 2000 immerhin noch mit 4,7 Milliarden auf Platz 48. Es ist Jeff Bezos selbst. Letzten Endes bleibt nicht viel übrig von den unglaublichen Jobs in der New Economy: Seit Jahresbeginn hat Amazon in den USA 150 Mitarbeiter entlassen. Beschäftigte fürchten nun, ob ihr Jobs nach dem Weihnachtsboom überhaupt noch existiert. Die Stimmung ist schlecht, schlechter als bei den zwei vorhergehenden Versuchen einer Gewerkschaft bei Amazon, die wegen der durch Aktiengewinne gesättigten Mitarbeiter scheiterte.
Dass ein mieser Aktienkurs den Erfolg eines Arbeiterkampfs entscheiden kann, klingt wie ein Witz. Aber das dürfte den Gewerkschaften egal sein: In den USA haben sie zwischen 1979 und 1999 fast 4,5 Millionen Mitglieder verloren. Die erste Schlacht um Arbeiterrechte in der New Economy wurde im August diesen Jahres gewonnen: Die Mitarbeiter der Mobilfunktochter von Verizon erhalten eine zwölfprozentigen Lohnerhöhung und alleinerziehende Mütter müssen nun nicht mehr bei Bedarf 20 zusätzliche Stunden in der Woche arbeiten – bloß noch 7,5. Schöne Aussichten also für Amazon.