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Wer hackt für die Industrie? (SPIEGEL online, 08.10.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Wer hackt für die Industrie?

Die Firmeninitiative SDMI bemüht sich, ein Musikformat im Netz zu etablieren, dass die genaue Kontrolle von Urheberrechten erlaubt. Hacker sollen nach dem Willen der Industrie dabei helfen, das System sicher zu machen.

SPIEGEL online, 08.10.2000

"Helft, die Zukunft der Online-Musikwirtschaft zu formen. Greift die angebotene Technik an. Knackt sie!" Der das schreibt, ist nicht irgendein Hacker, sondern Leonardo Chiariglione, Vorsitzender der Secure Digital Music Initiative (SDMI). Das Industriekonsortium, dem gut 200 Musik- und Technologieunternehmen angehören, will das neue Format DMAT (Digital Music Access Technology) für Musik im Internet etablieren, das eine perfekte Kontrolle der Urheberrechte ermöglichen soll. Der offene Brief Chiarigliones an die "Digital Community" ist eine Herausforderung. Von der Internetseite www.hacksdmi.org sollen Interessenten sechs Musikdateien mit einem digitalen Wasserzeichen laden. Wer den Kopierschutz entfernt, kann sich auf 10.000 Dollar freuen. Einen Tag vor Ablauf der Frist ist aber fraglich, wie viele erfahrene Hacker sich an dem Wettstreit beteiligt haben. Außerdem hat der Wettbewerbsserver mit Erreichbarkeitsproblemen zu kämpfen.

Schon kurz nach der Herausforderung durch die SDMI brach eine Kontroverse darüber aus, ob sich Interessierte an dem Wettbewerb beteiligen sollten. Gezweifelt wird vor allem an den Motiven der SDMI. Die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) warnt davor, "der Musikindustrie bei der Perfektionierung eines Mittels zu helfen, das unsere eigenen Rechte bedroht". Die Formulierung "eigenen Rechte" bezieht sich hierbei auf den so genannten fairen Gebrauch. In den USA gibt es wie auch in Europa Schranken des Urheberrechts. Das Urheberrechtsgesetz der Vereinigten Staaten ist nur wegen zwei Einschränkungen mit der von der Verfassung garantierten Meinungsfreiheit konform: Zum einen gilt Urheberrecht nicht für Ideen und Fakten, zum anderen ist der "faire Gebrauch" erlaubt. Dass bedeutet zum Beispiel, dass in der Bibliothek Bücher fotokopiert werden dürfen, dass man von Computersoftware Sicherheitskopien erstellen kann, dass eine CD für den Walkman auf Kassette überspielt werden darf. Einige Experten glauben, dass die Digitalisierung von Inhalten eben diesen "fairen Gebrauch" technisch unmöglich macht.

Der US-Rechtsprofessor Lawrence Lessing warnt in seinem Buch "Code", dass die Gefahr nicht die angebliche Unmöglichkeit eines Urheberrechtsschutzes im Internet ist – vielmehr ermögliche die neue Technik an bestehenden Gesetzen vorbei eine absolute Kontrolle der Benutzung von Inhalten. Eben dies bringt das neue SDMI-Musikformat nach Befürchtungen der EFF mit sich. So könnten neue Abspielgeräte das Nutzen nicht DMAT-verschlüsselter Musik verweigern. Die Anzahl möglicher Kopien könnte beschränkt werden, so dass es nicht mehr möglich sei, Musik im Auto, beim Joggen, unter der Dusche und sonst wo zu hören, ganz zu schweigen davon, eine CD zu verleihen. Eine weitere Sorge der EFF ist außerdem, dass durch die Verschlüsselung das Urheberrecht unbeschränkt gültig sein wird.

"Urheberrecht soll Werke nur für eine beschränkte Zeit schützen, die danach frei verfügbar werden. Dieser Übergang wird bei Technologie wie DMAT nicht mehr möglich sein." SDMI-Vorsitzender Chiariglione betont in einem zweiten offenen Brief, dies alles sei keinesfalls Absicht seines Konsortiums. Zweifel daran sind nicht ganz unberechtigt.

Den Prozess gegen das Hackermagazin 2600.com gewann die amerikanische Filmindustrie. Es ging um die Veröffentlichung des Programms DeCSS, das die Verschlüsselung von DVDs umgeht. 2600.com wurde es verboten, Links zu Seiten zu veröffentlichen, auf denen DeCSS erhältlich ist. Begründung: Dies sei illegale Beihilfe zum Umgehen einen Kopierschutzes für geistiges Eigentum. Dabei macht die DVD-Kodierung nicht das Kopieren, sondern das Abspielen auf Geräten, deren Hersteller nicht am DVD-Kodierungssystem beteiligt sind, unmöglich. So kann Hollywood bestimmen, wann, wo, wie und auf welchem System ein Film zu sehen ist. Deswegen ist es ohne DeCSS auch unmöglich, einen legal erworbenen Film auf dem DVD-Laufwerk eines mit dem System Unix beriebenen Computers zu betrachten.

Solche Einschränkungen fürchtet die EFF auch bei SDMI. Warum also sollten Hacker helfen, das Format sicherer zu machen? Eine interessantes Argument veröffentlichte das US-Netzmagazin "Salon.com". Vertreter von Internet- und Technologieunternehmen im SDMI-Konsortium würden tatsächlich darauf hoffen, dass der Kodierungsstandard sich als unsicher erweist, damit eine vollkommen neue Herangehensweise erprobt wird. Und auch wenn niemand alle sechs Dateien knacken sollte, wird das nichts über die Sicherheit des Formats aussagen. Denn wer die Wasserzeichen entfernen kann, muss das nicht zwangsläufig für 10.000 Dollar in die Welt posaunen.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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