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Wie ist das Wetter, fragt der Computer (SPEX online, 21.09.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Wie ist das Wetter, fragt der Computer

Die „Abteilung für fortgeschrittene Verteidigungsprojekte“ des US-Verteidigungsministeriums hat vor gut 30 Jahren den Grundstein fürs heutige Internet gelegt. Jetzt arbeitet sie an Projekten, die Grundstein für eine kollektive – künstliche – Intelligenz werden könnten.

SPEX online, 21.09.2000

Wie verlässlich sind die Zukunftsprognosen einer Organisation, die etwas wie elektrische Hundenasen zum Aufspüren von Minen entwickelt? Im Fall der Darpa ziemlich. Die Defence Advanced Research Projects Agency wurde 1958 vom US-Verteidigungsministerium gegründet, als die Sowjetunion ihre technische Überlegenheit mit dem Start des Sputnik-Satteliten demonstrierte. Aufgabe der Darpa ist es Projekten zu fördern, die so futuristisch sind, dass sie nicht unbedingt grundsolide wirken. „Wenn jemand etwas vorschlägt, dass eindeutig zu realisieren ist, interessiert es die Darpa nicht“, beschrieb ein Wissenschaftler die Herangehensweise.

In welche Projekte die Darpa ihr jährliches Budget von etwa zwei Milliarden Dollar steckt, sagt gerade über die Zukunft der Informationstechnologie und des Internets etwas aus. Immerhin war es ein Projekt der Darpa, das 1969 mit dem ARPANET den Grundstein für das heutige Netz legte. Die Darpa finanziert auch zum Teil das 1994 gegründete World Wide Web Consortium und steckt jährlich 30 Millionen Dollar in das Projekt Next Generation Internet (NGI), einem auf neuer Soft- und Hardware beruhendem Netz, das laut Darpa-Wissenschaftlern mit einer 1000 mal höheren Geschwindigkeit als das heutige Netz in fünf bis zehn Jahren auch für private Nutzer verfügbar sein soll.

Das eigentliche Geschwindigkeitsproblem der Zukunft ist aber nicht die Datenübertragungsrate im künftigen Netz oder die Geschwindigkeit der angeschlossenen Rechner – es ist der Mensch. Das erklärte der leitende Darpa-Wissenschaftler David Tennenhaus schon im Vorjahr bei einer Tagung. „Heute interagieren Computer mit Menschen, diese Menschen dann mit der physischen Welt, was denn Prozess der Datenanalyse verlangsamt“, glaubt Tennenhaus. Einfach gesagt ist das Ziel der Darpa nun, Systeme zu entwickeln, die Computer direkt mit der Außenwelt interagieren lassen. Systeme also, die ihre eigenen Sinnesorgane haben und auf Basis der hereinkommenden Daten eigene Entscheidungen treffen. Eine andere Möglichkeit, mit den ungeheuren Datenmengen der Zukunft effizient umzugehen, sieht Tennenhaus nicht.

Woher diese Daten kommen sollen? Die Darpa glaubt, dass durch die Miniaturisierung über dem Schlachtfeld der Zukunft einige Hunderttausend winziger Sensoren wie Pollen fliegen werden, die beständig Informationen liefern. Ein Darpa-Projekt arbeitet heute an Netzwerkarchitekturen, die bis zu 100000 Komponenten verbinden und es ihnen ermöglichen, in Sekundenbruchteilen als kollektive Intelligenz zu handeln. Zum Beispiel schwirrt ein Sensorenschwarm über feindliche Linien, versucht Funkverkehr aufzuspüren. Ein Sensor teilt seine Entdeckung allen anderen mit, woraufhin sie kollektiv ihre Funktionsweise ändern und den Funkverkehr stören.

Ein anderes Beispiel ist ein Wetterbeobachtungssystem, das eine bisher nicht aufgetretene Situation erkennt. Statt diese einfach zu melden, holt es sich nun von allen Wetterstationen der Erde Beobachtungsdaten und versucht ein Muster zu erkennen. Ein Vorläufer solcher Systeme ist der Airbag oder das ABS-System. Auch hier reagiert Elektronik auf Sinneseindrücke. Wesentlich schneller, als ein Mensch es je könnte, wie Tennenhaus betont.

Eine Stufe tiefer setzten die Darpa-Projekte TIDES (Translingual Information Detection, Extraction and Summarization) und Information Management (IM) an. Hier soll eine künstliche Intelligenz selbständig Informationen suchen und aufarbeiten, so dass auf dieser Basis ein Menschen Entscheidungen treffen kann. TIDES beschreibt als Vision das Handling einer fiktiven Krise in Nordisland: Kaum jemand im US-Verteidigungsministerium spricht Nordisländisch, und niemand hat eine Ahnung von der gegenwärtigen Krisensituation und deren Ursachen. TIDES erfasst selbstständig alle nordisländischen Internetseiten, zudem gedruckte Dokumente wie Zeitungen über Schrifterkennung. Binnen eines Monats liefert das Programm nicht nur Übersetzungen, sondern vor allem Zusammenfassungen und klar gegliederte Informationen zu wichtigen Persönlichkeiten und gegenwärtigen Entwicklungen. Das IM- Programm soll unter einer gegebenen Problemstellung alle verfügbaren Quellen durchsuchen und die Aufmerksamkeit des Menschen auf Informationen von höchster Relevanz lenken.

Wie künstliche Intelligenz Probleme selbst lösen kann, statt sie nur für Menschen aufzubereiten, versucht das Projekt Autnomous Negotiating Teams (ANT) aufzuzeigen. Komplexe Probleme werden nicht global von einer zentralen Instanz angegangen, sondern in kleinere Entscheidungen, die von lokalen Instanzen entschieden werden, aufgespaltet. Ein mögliches Beispiel: Ein Rechner bekommt das abstrakte Ziel: Landtruppenübung in drei Tagen. Er teilt dies den Systeme der beteiligten Truppenteile mit. Die setzten das abstrakte Ziel in konkretere Aufgaben um. Beispielsweise: In drei Tagen 40 Kilometer bis zum Übungsplatz. Die Systeme der Panzer prüfen die Möglichkeiten zum Erreichen der Aufgabe. Panzer X meldet zurück, dass seine Teilnahme aufgrund eines technischen Defekts nicht möglich ist. Panzer Y will Benzin. Panzer Z verlangt ein bestimmtes Ersatzteil, da er fürchtetet, das Mindesthaltbarkeitsdatum werde während des Manövers überschritten.

Auf das Internet bezogen ist das Projekt Active Networks ein Schritt in Richtung künstliche Intelligenz. Ziel sind Informationsnetzwerke, die ihre Kapazitäten automatisch Anforderungen anpassen. Das Netzwerk ist sich in gewisser Weise seiner Struktur und der darin transportierten Informationen bewusst und entscheidet auf dieser Basis selbst.

Bewusstsein über die Art der transportierten Informationen könnte vielleicht die momentan von einem Darpa-Projekt entwickelte Computersprache Darpa Agent Markup Language (DAML) ermöglichen. Sie soll im Netz für künstliche Intelligenzen das werden, was Englisch heute für natürlichen ist. DAML würde im Endstadium künstlichen Intelligenzen im Netz Zugriff auf den Code von Computerprogrammen, auf Sensoren und alle Maschinen, die angeschlossen sind ermöglichen. Somit würde Tennenbaums Vision Wirklichkeit werden: Computer brauchen Menschen nicht mehr als Vermittler zur physischen Welt.

Physische Welt umfasst dabei mehr, als man sich zur Zeit vorstellt. Eins der eher längerfristigen Darpa-Projekte befasst sich mit den Möglichkeiten eines interplanetarischen Internets. Projektleiterin Mari Maeda: „Das ist nicht etwas, was in den nächsten drei oder vier Jahren. Passiert, aber wir müssen darüber nachdenken. Es wird in 20 Jahren in jedem Fall ein bedeutendes Thema sein.“

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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