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Wie man lokalen Mitmachjournalismus im Netz hegt

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen
Wie man lokalen Mitmachjournalismus im Netz hegt

Das Onlineangebote Lokalkompass.de hat im Ruhrgebiet, Teilen des Rhein- und Sauerlandes etwas Außergewöhnliches geschafft: Eine lebendige Community von Nutzern bereichert die Seiten um Artikel, Fotos und Kommentare aus dem Lokalen. Erstaunlich finde ich das, weil dieses Bürgerjournalismus-Portal aus einer klassischen Printmarke entstanden ist, den Anzeigenblättern der Verlage WAZ und Lensing-Wolff. Nächsten Frühling wird der Lokalkompass fünf Jahre alt – für eine Zwischenbilanz habe ich Stanley Vitte ein paar Fragen gestellt. Er betreut mit Kollegen seit Jahren die Lokalkompass-Community. Das ist weit, weit mehr als das Moderieren von Kommentaren. Stanley beschreibt seinen Job mit diesem schönen Bild: “Wäre der Lokalkompass eine Veranstaltung, so wären wir Türsteher, Talkmaster, Hausmeister, Anwalt, Seelsorger, Kuppler.” Dieser Ansatz könnte den Erfolg und die lokale Verwurzelung des Mitmachangebots erklären.

Was ist Lokalkompass für Dich und was ist besonders daran?

Lokalkompass nennt sich „die Nachrichten-Community Ihres Anzeigenblatts“. Das Portal wird betrieben von den WVW/ORA-Anzeigenblättern, deren insgesamt 73 Lokalzeitungen an Haushalte im Kerngebiet NRWs verteilt werden. Dem entsprechend besteht der Lokalkompass als „Online-Ausgabe“ aus entsprechend vielen Subportalen. Das Besondere an diesem hyperlokalen Angebot ist meines Erachtens, dass Nutzer hier nicht nur lesen und kommentieren, sondern als so genannte „Bürger-Reporter“ auch unmittelbar selbst Fotos und Beiträge veröffentlichen können. Im Portal agieren sie somit prinzipiell auf Augenhöhe mit den vom Verlag beschäftigten Lokaljournalisten. Der Austausch ist rege, und da die Beiträge der Lokalkompass-Nutzer auch in den Zeitungen erscheinen können, ist die crossmediale Verknüpfung Print/online in beide Richtungen gewährleistet. Das ist in dieser Art und in dem Ausmaß meines Wissens einzigartig.

Wie viele Freiwillige sind derzeit aktiv und wie hat sich das über die Jahre entwickelt?

Als ich im Jahr 2011 beim Verlag anfing, zählte das Portal etwa 15.000 registrierte Nutzer. Heute, rund drei Jahre später, sind es über 68.000, und täglich kommen neue hinzu. Die Entwicklung ist also positiv, die Nutzerzahlen steigen stetig. Natürlich sind nicht alle Nutzer im gleichen Maße aktiv, aber das ist ja nach Nielsen bekannte Regel. Manche Nutzer schauen nur gelegentlich vorbei um mitzulesen, manche schreiben wöchentlich Beiträge, manche laden täglich Fotos hoch oder schreiben im Akkord Kommentare.

Wie werbt ihr Nachwuchs für den Lokalkompass?

Neben den klassischen Maßnahmen des Marketings (Anzeigen, Radiospots, Events…) halte ich die crossmediale Verknüpfung und Markenzusammenführung für maßgeblich, und zwar auf mehreren Ebenen: Die Webadresse des Portals steht fest verankert auf den Titelseiten aller Anzeigenblätter (Das Klever Wochenblatt titelt mit www.lokalkompass.de/kleve, der Wochenanzeiger Duisburg mit www.lokalkompass.de/duisburg usw). Die Kollegen in den Lokalredaktionen verweisen in ihren Zeitungsbeiträgen regelmäßig auf den Lokalkompass, etwa indem sie ihre Inhalte online verlängern („mehr Informationen und weitere Fotos finden Sie unter www…“), zu aktuellen Themen nach Meinungen fragen oder Leser dazu animieren, online Fotos hochzuladen. Darüber hinaus ist der Lokalkompass als Marke in allen relevanten sozialen Medien präsent (zentral koordiniert von Social Media-Expertin Beatrix Gutmann) und die redaktionellen Mitarbeiter agieren dort zusätzlich als individuelle Markenbotschafter, etwa durch ihre persönlichen Twitter-Accounts oder durch lokale Facebook-Gruppen.

Die regionalen  Communities bei Lokalkompass.de
Die regionalen Communities bei Lokalkompass.de

Aus Deiner Erfahrung: Was motiviert die Aktiven kurz-, was langfristig?

Gewinnspiele und spielerische Mitmach-Aktionen sind oft ein kurzfristiger Anreiz bzw. eine recht einfache Methode, Leser und Nutzer aus der Passivität zu locken (Audience Engagement). Mittelfristig motiviert meines Erachtens vor allem der für Netzverhältnisse relativ kultivierte Ton, den wir durch unser Klarnamen-Prinzip und professionelles Community-Management erhalten. Der direkte Draht zur lokalen Zeitung, der regelmäßige Austausch online sowie gelegentliche Community-Treffen „face to face“ vor Ort erhöhen die Bindung und Identifikation der Nutzer mit dem Lokalkompass auf langfristige Sicht.

Wie ist deine Rolle unter den Freiwilligen, was machst Du anders / anderes, was ist Dein Beitrag?

Gemeinsam mit Beatrix Gutmann und Peter Dettmer arbeite ich im Community-Management des Verlags. Dieses recht vielseitige Aufgabe umschreibe ich gerne mit einem Bild: Wäre der Lokalkompass eine Veranstaltung, so wären wir Türsteher, Talkmaster, Hausmeister, Anwalt, Seelsorger, Kuppler… Unterm Strich erfüllen wir sowohl in der Community als auch im Verlag eine klassische Schnittstellenfunktion.

Wenn du Dir den typischen Autor und den typischen Nutzer des Lokalkompass vorstellst – wie sieht der in Deiner Vorstellung aus?

Den einen typischen Nutzer gibt es natürlich nicht. Interessen und Herangehensweisen variieren. Die einen schreiben gern Beiträge über lokales Geschehen und diskutieren darüber, die anderen fotografieren lieber oder organisieren eigeninitiativ Community-Treffen zu unterschiedlichen Anlässen (Foto-Touren, Wander-Ausflüge, Stammtische…), über die sie anschließend auch in unserem Portal berichten. Unsere Bürger-Reporter haben dafür sogar ein eigenes Schlagwort etabliert: es lautet „LK-Treffen“. Einen guten ersten Eindruck über die Vielfalt der Nutzer liefern eventuell die von uns redaktionell porträtierten Bürger-Reporter des Monats.

Was sollten mehr Menschen wissen?

Dass sie sich im Internet nicht nur vielseitig informieren können, sondern dort am Informationsfluss auch aktiv teilhaben können, und je gezielter und differenzierter sie öffentlich mitreden, desto eher finden ihre Belange selbst in klassischen Massenmedien Gehör. Der Lokalkompass und die dazu gehörigen Lokalzeitungen sind hierfür das beste Beispiel.

Lokaljournalismus

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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