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Wikipedia-Spenden: Wiki-Autoren streiten um Geld und Transparenz (Spiegel Online, 8.10.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Wikipedia-Spenden

Wiki-Autoren streiten um Geld und Transparenz

Wie gut wirtschaftet der deutsche Verein der Wikipedia-Unterstützer? Darüber streiten im Web nun Wiki-Autoren. Denn 2010 verlangt die US-Stiftung, die das Mitmach-Lexikon betreibt, zum ersten Mal einen Teil der deutschen Spendeneinnahmen. Das macht Verrenkungen erforderlich, die nicht jedem gefallen.

Spiegel Online, 8.10.2010

{jumi [*3]}

Es geht um Geld und Macht, und da fallen harte Worte: die “Entmachtung der einfachen Vereinsmitglieder” habe der Verein vorangetrieben, “Barem ohne Gegenleistung” gegenüber sei die Organisation aufgeschlossen und würde “ohne Transparenz” ein “eigenes Einkommen” generieren. Das klingt nach halbseidenen Geschäften, doch so etwas schreiben einige Wikipedia-Zuarbeiter und erregte Netzaktivisten auf den Diskussionsseiten der deutschen Wikipedia über das Netz-Lexikon.

Auslöser für diesen Streit und die Vorwürfe ist die Gründung einer gemeinnützigen GmbH durch den deutschen Verein Wikimedia. Das klingt kompliziert, und das sind die organisatorischen Verhältnisse beim Mitmach-Lexikon auch. Der Wiki-Krach zeigt, wie schwer es manchmal selbst bei einem etablierten Mitmach-Projekt wie der Wikipedia fällt, auf Mitglieder und Netzöffentlichkeit transparent zu wirken.

Einfach gesagt ist der Unterschied zwischen Wikipedia und Wikimedia dieser: Die Wikimedia Foundation (WMF) in den Vereinigten Staaten betreibt die Wikipedia samt aller Sprachversionen. Die US-Stiftung finanziert aus Spendengeldern die Ausgaben für Personal und Technik – im aktuellen Geschäftsjahr sollen es gut 9,4 Millionen Dollar sein. Nationale Wikimedia-Organisationen wie der deutsche Verein sammeln auch Spenden zur Förderung der Wikipedia. Allerdings hat der deutsche Wikimedia-Verein bisher nie direkt Zahlungen an die US-Stiftung weitergeleitet. Wikimedia-Geschäftsführer Pavel Richter: “Es hat bisher keine Vereinbarung über den Transfer von Mittel an die WMF gegeben. Wir haben auch niemals kommuniziert, dass wir Gelder an die WMF überweisen würden.”

Bislang zahlt der deutsche Wiki-Verein der Wikimedia-Stiftung nichts

Konkret geht es dabei zum Beispiel um gut 755.000 Euro, die der deutsche Wikimedia-Verein 2009 von Spendern erhalten hat. Einen Teil dieser Einnahmen hat der deutsche Verein, so beschreibt es Richter, “in Absprache” mit der US-Stiftung ausgegeben und so seinen Beitrag “für die internationale Arbeit geleistet”. Man kann nur vermuten, wie viele Wikipedia-Nutzer, die im Herbst das jährliche Spendenbanner auf den Seiten des Mitmach-Lexikons sehen, den Unterschied zwischen Wikipedia, der Wikimedia Foundation und dem Wikimedia-Verein kennen. Manchen Kommentaren nach zu urteilen überrascht die Verwendung der Mittel jedenfalls auch einige Wikipedia-Nutzer – aber das ist dem deutschen Verein kaum anzulasten. Es zeigt eher, wie wenig Internet-Nutzer über die Strukturen der von ihnen genutzten Angebote wissen.

Wofür der als gemeinnützig anerkannte deutsche Wiki-Verein Geld ausgibt, kann man etwas konkreter in den jährlichen Tätigkeitsberichten nachlesen, hier ein tabellarischer Auszug:

Ausgaben von Wikimedia e.V 2009
Posten Ausgaben (€) Anteil an Gesamtausgaben (%)
International Outreach (Projekt) 75.384,16 12,33
Technik (Projekt) 160.095,90 26,19
Community Support (Projekt) 41.049,20 6,72
Bildung und Schulprojekt (Projekt) 20.458,72 3,35
Zedler (Projekt) 31.661,34 5,18
Allgemeine Öffentlichkeitsarbeit (Projekt) 37.724,98 6,17
Nawaro (Projekt) 12.685,80 2,08
50Plus (Projekt) 15.470,49 2,53
Content Liberation (Projekt) 34.138,07 5,59
Allgemeine Verwaltungs- und Werbeausgaben 182.530,00 29,86
Summe 611.198,66 100
Anteil Projektkosten 428.668,66 70,14
Anteil allgemeine Verwaltungs- und Werbeausgaben 182.530,00 29,86
Quelle: Tätigkeitsbericht Wikimedia e.V. 2009, eigene Berechnungen (PDF)

 

Die aufgeführten Projekte beinhalten zum Teil durchaus Beiträge, von denen auch die US-Stiftung profitiert. So gingen 2009 zum Beispiel knapp 25 Prozent der Ausgaben in Technik, der größte Batzen davon in den Ausbau und Betrieb eines sogenannten Toolservers in Amsterdam, den Entwickler als Plattform für die Weiterentwicklung der Software für Wikimedia-Projekte nutzen.

Hinter dem Punkt “International Outreach” verbergen sich Stipendien für deutsche Wiki-Autoren, die zur Wikimania-Konferenz nach Buenos Aires reisen konnten. Außerdem hat der deutsche Wiki-Verein 80 ehrenamtliche Entwickler der MediaWiki-Software nach Berlin eingeladen, um die “Weiterentwicklung der Software zu diskutieren und zu planen”, wie Geschäftsführer Pavel Richter erläutert.

30 Prozent der Ausgaben für die Verwaltung

Der Tätigkeitsbericht des Wiki-Vereins ist allerdings in einem zentralen Punkt nicht ganz so übersichtlich wie die Tabelle oben: Der Wikimedia-Verein erwähnt die Ausgaben für allgemeine Verwaltungs- und Werbeausgaben nur im Fließtext und zwar mit diesem Zusatz: “Dies macht etwa 30 Prozent der Gesamtausgaben aus und liegt damit unterhalb der Grenze, die etwa das Deutsche Institut für Soziale Fragen (DZI) für gemeinnützige Organisationen festgelegt hat.” Allerdings sagt der Geschäftsführer ebendieses DZI, Burkhard Wilke: “Man kann mit der Einhaltung dieser Grenze nur werben, wenn man die Ausgaben nach unseren Vorgaben zuordnet, sonst hat das keine Aussagekraft.”

Wikimedia-Geschäftsführer Pavel Richter räumt ein, dass man da nicht mit dem DZI zusammenarbeitet: “Wir folgen hier dem Rat unseres Steuerbüros, das viele gemeinnützige Organisationen berät und über entsprechenden Sachverstand verfügt. Der Verein hat eine entsprechende Kostenstellenrechnung, die die klare Zuordnung aller Kosten zu Projekt- bzw. Verwaltungsausgaben ermöglicht.”

Im Klartext: Man weiß nicht, ob sich die Wikimedia-Zahlen überhaupt mit der Vorgabe des DZI vergleichen lassen. Auch diese Zahl ist interessant: Bei den 253 für das Spendensiegel untersuchten Organisationen lagen die allgemeinen Werbe- und Verwaltungsausgaben 2007 im Durchschnitt bei 13,8 Prozent der Gesamtausgaben – beim deutschen Wiki-Verein waren es 2009 knapp 30 Prozent.

Vorwurf der Bereicherung wirkt böswillig

Am Tätigkeitsbericht des Wikimedia-Vereins fällt auf, dass die Gehälter oder zumindest die Personalkosten insgesamt nicht veröffentlicht werden. Organisationen, die das DZI-Spendensiegel erhalten wollen, müssen von 2011 an zum Beispiel die drei höchsten Gehälter der Angestellten oder wenigstens deren Summe offenlegen. Wikimedia-Geschäftsführer Richter gibt auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE diese Zahlen heraus: Im Jahr 2009 sind beim Verein 216.877 Euro an Personalkosten angefallen – es gibt neun festangestellte Mitarbeiter und Werksstudenten (derzeit vier). Für externe Berater (Steuerberatung, Rechtsanwaltskanzlei, freiberufliche Projektmanagerin, externer Dienstleister in der Spendenberatung) hat der Verein 2009 77.683 Euro ausgegeben.

Der im Netz anonym erhobene Vorwurf der Bereichung wirkt angesichts dieser Zahlen böswillig – wenn man sich die Bilanzen des Vereins ansieht, kann man den Verantwortlichen höchstens ungeschickte Kommunikation vorwerfen. Ob der Verein effizienter wirtschaften könnte, ist eine andere Frage.

Fest steht, dass der deutsche Wiki-Verein von diesem Herbst an erheblich weniger Spendeneinnahmen für eigene Projekte ausgeben kann. Die US-Wikimedia-Stiftung hat 2010 durchgesetzt, dass bei der Spendenkampagne die Landes-Organisationen einen Teil der Einnahmen direkt an die US-Stiftung weiterleiten. Konkret muss der deutsche Verein die Hälfte der Einnahmen weiterleiten.

Die Herausforderung für den deutschen Wiki-Verein: Er muss einen Weg finden, die Hälfte der Einnahmen weiterzureichen und sich mit dem zuständigen Finanzamt einigen, dass diese Verwendung den gemeinnützigen Zielen entspricht. Nur dann erhalten deutsche Spender eine Spendenquittung und können die Spenden steuerlich absetzen.

Warum gründet der Wiki-Verein eine Fördergesellschaft?

Für dieses Problem gibt es viele Lösungen, und der Wiki-Verein hat sich eine bei einigen Mitgliedern umstrittene ausgesucht. Am 4. Oktober wurde die ” Gemeinnützige Wikimedia Fördergesellschaft mbH (gGmbH)” gegründet. Einziger Gesellschafter ist der Wikimedia e.V.. Zweck der gGmbH laut Gesellschaftervertrag: “Beschaffung von Mitteln für die steuerbegünstigten Zwecke anderer Körperschaften, namentlich des Wikimedia Deutschland e.V. und der Wikimedia Foundation Inc. mit Sitz in den USA.”

Die gGmbH-Gründung ist laut Pavel Richter “das beste Instrument, um Spendern aus Deutschland die Möglichkeit zu geben, beide Organisationen zu unterstützen und dabei auch die steuerlichen Vorzüge der Abzugsfähigkeit von Spenden nutzen zu können”. Von SPIEGEL ONLINE befragte Experten für Stiftungsrecht und gemeinnützige Organisationen sind geringfügig anderer Ansicht. Die Gründung einer Fördergesellschaft sei nur ein möglicher Weg von vielen, so das einhellige Urteil. Anke Pätsch, Sprecherin des Bundesverbands Deutscher Stiftungen erklärt, die Gründung der eigenen Gesellschaft habe “gegenüber den Satzungsänderungen den Vorteil, dass bei der GmbH die Entscheidungsprozesse schneller sind, weil anders als beim Verein nicht die Mitgliederversammlung allem zustimmen muss.”

Rupert Graf Strachwitz, Direktor des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft an der Humboldt Universität zu Berlin ergänzt, man könne auch eine sogenannte “nicht rechtsfähige Stiftung” gründen, das wäre sogar “viel günstiger”.

Dass der deutsche Wiki-Verein vor diesem Hintergrund die Gründung einer Fördergesellschaft als “das beste Instrument” darstellte, ohne die anderen Möglichkeiten zuvor zur Diskussion zu stellen, war zweifellos ungeschickt. Anstatt die Mitglieder über eine Satzungsänderung abstimmen zu lassen, hat der Verein die gemeinnützige Fördergesellschaft gegründet. Das hat nichts mit persönlicher Bereicherung zu tun, aber es ändert die Rollen des deutschen Vereins. Er fördert weniger Projekte direkt, die Mitglieder haben also de facto weniger Einfluss darauf, was mit den Einnahmen geschieht.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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