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Wo Ideen auf Investoren treffen (Der Standard, 06.07.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Zwischen dem gediegen-blauen Jackett, der sorgfältig gebundenen Krawatte mit den roten Golfern und der Wolfgang Schüssel Brille kämpft Ironie gegen Nervosität. „Ich kann das nicht verantworten“, grinst Jaroslav Rychly. Dann stößt der 37jährige Kaufmann ein „eigentlich“ hervor und lacht etwas zu schnell drauflos. Die Nervosität gewinnt wieder. Rychly verschränkt die Arme. Er hat drei Kinder und einen gutbezahlten Job als Vertreter tschechischer Unternehmen in Deutschland. Den gibt er bald auf – um eine Internetfirma zu gründen. In einer halben Stunde wird er mit gut 160 anderen Gründern und vielleicht halb so vielen potentiellen Investoren im Münchener Amerikahaus stehen, um Aufmerksamkeit und Geld kämpfen. Momentan ist das schwer, denn die Stimmung in der New Economy kriecht am Tiefpunkt. Auf der Seite www.startupfailure.com werden schon die besten Versagergeschichten gesammelt.

Es ist der erste Dienstag im Monat. Menschen wie Rychly zittern heute in New York, Kapstadt, Mailand – an 76 Orten weltweit. Das ganze heißt FirstTuesday. An einem Dienstag Ende 1998 trafen in London ein paar Leute mit Ideen, womit man im Internet so Geld verdienen könne, ein paar andere mit Geld, um aus diesen Ideen erst mal Unternehmen zu machen. Heute ist FirstTuesday selbst eins. Sechs Angestellte in der Londoner Zentrale koordinieren Vortragsgäste und Sponsoren für die Kontaktbörsen weltweit. Ansonsten geht es unbürokratisch zu. Wer eine Idee hat, klebt sich einen grünen Punkt ans Revers. Leute mit Geld tragen rote. Wer nicht dazugehört wie Berater, Anwälte oder Journalisten, bekommt einen gelben Klebepunkt.

Rychly ist einer der ganz grünen. Mobiles Internet will er mit zwei Partnern machen. Eine schnelle Datenbank, die einem hilflosen Menschen in einer großen Stadt sagt, wo es was für wie viel Geld und in welcher Qualität gibt. Mehr kann er nicht erzählen, schließlich sind schon Vertraulichkeitserklärungen mit Partnern unterschrieben. In der Hand hält er die schwarze Mappe mit Infoblättern und dem Business-Plan für die nächsten Jahre.

Den wird er brauchen. Das Internet-Kaufhaus Boo.com ist pleite, die Web-Gemeinschaft Netimperative.com hat Konkurs angemeldet, die Börsengänge des Buchhändlers Bol.de, der Shopping-Site Letsbuyit.com und des E-Mail-Dienstes Gmx.de sind verschoben – die Stimmung in der New Economy ist verhalten. Sogar ziemlich mies, fragt man Analysten. Ursula Nonninger, zuständig für Internet-Firmen bei der BHF-Bank, glaubt, dass mindestens Dreiviertel der Startups aufgeben müssen. Sie hält diese Schätzung der Investmentbank Merrill Lynch sogar für ein wenig zu optimistisch: „In jeder Sparte werden nur einige überleben, wie in der übrigen Wirtschaft auch.“

Wer überleben will, braucht Geld. Das gibt es bei FirstTuesday. Im Empfangssaal des Münchener Amerikahauses ist es heiß, stickig, laut und eng. Der Weg zum Empfangstisch braucht länger als das Herunterladen eines Videos im Internet. Rychlys Partner sichern einen Stehtisch im Gewusel. Bleiche, hagere Mitzwanziger in Sweatshirt und Anzugshose, Damen in unaufdringlich edlen Kostümen, Herren mit betont edlen Anzügen, Studentinnen mit schicken, übergroßen Brillen schieben sich plaudernd vorbei. Die kleinen Punkte sind kaum zu erkennen, man muss sich nah heranwagen. Dumpfes Murmeln schwillt an und ab, stülpt sich über die Masse.

Einer mit grünem Punkt und Geld ist Thomas Haida. Statt Anzug trägt er eine schwarze Lederjacke, drückt sich mit einem Brötchen in der Hand an den Leuten vorbei. Der 33jährige beurteilt für den Wagniskapitalgeber Speed Ventures Ideen. Ein paar Jungs mit grünen Punkten huschen hinter ihm her. Einer in schwarzer Jacke bleibt betreten in der Ecke stehen. Der jüngste und braugebrannteste ist als erster da. Jaron Schächter ist gerade mal 21 und hat bereits einen 20seitigen Businessplan in seiner schwarzen Ledermappe. Und bunte Prospekte auf matt glänzendem, dicken Papier. Eine Viertelstunde lang erzählt er Haida von Skiwelt.de, 25 Ski-Stars, die exklusiv für das online-Angebot schreiben, den Kooperationspartnern AOL, ZDF, RTL, Plänen für eine Expansion mit einem Netzladen für Skireisen und Zubehör. Haida murmelt, tippt auf die schwarzen Zahlenkolonnen. Schächter streicht sich über das blondierte Kinnbärtchen, etwas zu gelassen für einen schmächtigen Frühzwanziger in schicken Klamotten.

Zurückgeblieben ist der junge Mann in der schwarzen Jacke. Ralf Weller will übers Netz die Musik unbekannter Bands vertreiben – und sie damit bekannt machen. Er schaut zu Haida und dem Ski-Fetischisten.

Haida verabschiedet sich gerade mit einer Hand von Schächter, in der anderen hat er ein Camambert- Brötchen. „Die Ski-Seite hat den Vorteil des exklusiven Inhalts. Aber die kalkulieren ihr Personal viel zu niedrig, haben nichts besonderes, um Leute in der Zeit zwischen Ski-Großereignissen zu locken und planen nicht über 2003 hinaus“, meint er später. Es wird „offene“ Gespräche geben. Geld fließt bei FirstTuesday kaum. Bei Speed Ventures wird nach dem ersten Gespräch eine Idee erst mal im „Office“ besprochen, dann gegebenenfalls an das „Board“ in der Zentrale weitergereicht. Erst danach kann Geld fließen. „Wir wollen eine konkrete Gewinnperspektive“, meint Haida.

Da liegt er im Trend. Etwa 200 Venture-Capital-Gesellschaften gibt es in Deutschland. 11 Milliarden Mark Einlagen haben sie gerade an Startups zu verteilen, schätzt die Financial Times. Finanzierer, die ihr Geld in falsche Ideen stecken, drohen mit ihren Schützlingen unterzugehen. „Es wird möglicherweise auch zu einer Konsolidierung in unserer Branche kommen“, glaubt Holger Frommann, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Kapitalbeteiligungsgesellschaften.

Der Musikfreund in der schwarzen Jacke steht noch unbeachtet am Ausschank. Gewinner und Verlierer stehen nach drei Stunden Plauderei bei FirstTuesday fest. Der Schwarzbejackte hat 30 Visitenkarten verteilt, drei bekommen. Der Mobile-Internet-Gründer Rychly hat da eine ausgewogenere Bilanz. Vier konkrete Gespräche stehen jetzt in der nächsten Woche an.

 

Ein langer Herr mit rotem Punkt lacht vergnügt: „Hier herrscht die modernste Form der Prostitution.“ Das möchte er dann doch lieber nicht gesagt haben, zumindest nicht namentlich. 25 Visitenkarten haben ihm Gründer zugesteckt, zurückrufen wird er höchsten vier. Denn „die Sache muss fliegen.“ Er greift sich die nächste Popcorntüte.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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