Zum Inhalt springen

Wolfram Alpha: Hype um den Wissenszwerg (Spiegel Online, 18.5.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Wolfram Alpha

Hype um den Wissenszwerg

Wolfram Alpha soll der neue Info-Riese im Web werden – dank einer von Menschen bestückten Datenbank, die simple Fragen versteht. Doch erste Tests zeigen: Wenn das Portal Wikipedia und Co Konkurrenz machen soll, müsste es mit viel mehr Wissen bestückt werden. Was unbezahlbar ist.

Spiegel Online, 18.5.2009

Als das World Wide Web noch jung war, Google höchstens die vage Idee zweier Studenten und Yahoo ein heißes Unternehmen, da klang es nach einer guten Idee, bezahlte Suchmaschinen-Redakteure im Web nach den besten Inhalten suchen zu lassen. Das war Mitte der neunziger Jahre, und die Idee verlor schnell an Charme. Suchroboter wie Altavista, Hotbot und später Google lieferten dank Volltextanalyse, cleverer Algorithmen und einer simplen Eingabemaske zu jedem Stichwort ausreichend relevante Treffer.

Jetzt aber ist menschliche Auswahl plötzlich wieder en vogue – dank Wolfram Alpha.

Das lang erwartete Web-Angebot ist seit diesem Wochenende öffentlich verfügbar. Es verspricht Wissen, das von Menschen und Maschinen zu einer “Antwortmaschine” aufbereitet wird. Entwickler Stephen Wolfram hat ganz unbescheiden “ein neues Paradigma für den Gebrauch von Computern und des Web” angekündigt.

Sein erklärtes Ziel: Computer sollen künftig Fragen von Menschen verstehen und Antworten errechnen können.

Die ersten Erfahrungen der Web-Nutzer mit Wolfram Alpha zeigen allerdings eines: Das Design ist schön, die Datenbasis schwach. Mit dieser Software ist viel möglich. Als Such-Werkzeug für den Alltag ist sie dagegen noch unbrauchbar.

Zu diesem Fazit kam SPIEGEL ONLINE schon in einem Vorabtest vor zwei Wochen. Die nun veröffentlichte Version unterscheidet sich kaum von jener, die damals geprüft wurde, und entsprechend ist die Resonanz bei den Experten im Netz.

Wolfram Alpha hat letztlich dasselbe Problem wie alle datenbankbasierten Web-Angebote: Es weiß bei einigen Sachen gut Bescheid, bei vielen gar nicht. Web-Guru David Weinberger bilanziert seine Tests des Dienstes deshalb so: “Wolfram Alpha ist phantastisch, wenn es die Fakten hat, die man sucht.” Problematisch dagegen ist, dass es bislang sehr oft keine Fakten hat. Wahlergebnisse, Regierungen, Unternehmer – nie davon gehört. Weinbergers skeptisches Zwischenfazit: “Die Frage ist, ob normale Anwender oft genug neue Anläufe starten, um zu erfahren, welche Fragen Wolfram Alpha beantworten kann. Falls nicht, wird es ein wunderbares Werkzeug für Experten bleiben, aber nicht zu dem allgemeinen Allzweckwerkzeug werden, das es sein will.”

Man muss Wolfram Alpha gar nicht – wie oft geschehen – in Konkurrenz zu Googles Suchmaschine sehen, um skeptisch zu werden. Diese selbsternannte Antwortmaschine, eine Datenbank mit ausgefeilten Analyse- und Aufbereitungsverfahren, ist eher mit anderen Wissensportalen wie Wikipedia, Google Knol oder Suite 101 zu vergleichen. Die faire Frage ist, wie sie im Vergleich zu diesen abschneidet.

Das Ergebnis? Rob Beschizza vom einflussreichen Blog BoingBoing veröffentlicht kommentarlos zwei Screenshots unter dem Wolfram-Alpha-Werbeslogan “A new kind of search” (“Eine neue Art der Suche”) als Überschrift. Seine Suchanfrage: “Was ist der höchste Berg in Pennsylvania?” – “What is the tallest mountain in pennsylvania?” Wolfram Alpha versteht die Frage nicht. Google spuckt als Antwort mehrere Listen der höchsten Berge in Pennsylvania aus und als dritten Treffer den Wikipedia-Artikel zum Mount Davis, der höchsten Erhebung in dem US-Bundesstaat.

Es ist nicht so, dass Wolfram Alpha diese Antwort nicht kennt. Man muss nur anders fragen – nämlich nach dem “highest point in pennsylvania”.

Nur wer richtig fragt, bekommt vielleicht eine Antwort

Das Beispiel zeigt: Mit dem Sprachverständnis von Wolfram Alpha ist es nicht so weit her. Eine Datenbank wie Wikipedia versteht zwar nicht, was Zahlen bedeuten, welche Zahlen vergleichbar sind, in welcher Beziehung Informationen zueinander stehen. Wikipedia hat allerdings den Vorteil, von Menschen für Menschen geschrieben worden zu sein – und somit Formulierungen zu enthalten, die Menschen suchen. Bei Wolfram Alpha kommt bisweilen der Eindruck auf, hier hätten Mathematiker etwas für Mathematiker entworfen.

Das könnte zumindest erklären, warum Wolfram Alpha Fragen von SPIEGEL ONLINE nach Wahlergebnissen, Politikern und Kultur kaum beantworten konnte und auf Basis recht diffuser Quellen behauptete, Kölsch und Polnisch seien in Deutschland ähnlich weit verbreitete Sprachen.

Eine gewisse Betriebsblindheit könnte auch erklären, warum die Datenbank nur wenige Fragen des Wirtschaftsjournalisten Thomas Knüwer zufriedenstellend beantworten konnte, zum Beispiel diese: “Wie lang war Jack Welch CEO von General Electric?” Knüwers Fazit: “Nicht einmal das Versprechen, man könne Fragen stellen statt plumper Begriffe, wird gehalten. Die ausgeworfenen Ergebnisse sind durch die Bank brauchbarer, vermeidet man Fragestellungen.”

Auch bei den Naturwissenschaften befriedigt Wolfram Alpha als Datenbank im Vergleich mit anderen Diensten so manchen Kenner nicht. Mathematikdozent Thilo Kuessner zum Beispiel kommt zu dem Fazit: “Mit Schulstoff, der über reine Rechenfähigkeiten hinausgeht, ist Alpha überfordert. Zum Beispiel ist ihm der Schulstoff in Elementargeometrie nicht bekannt.” Kuessner fehlen Grundlagen wie “Information, was Primzahlen eigentlich sind; also die Definition des Begriffs ‘Primzahl'”.

Ähnliche Wissenlücken monieren andere Tester zum Beispiel bei der Astronomie: “Auch der Stern 51 Pegasi, um den der erste Exoplanet entdeckt wurde, ist bei Wolfram Alpha unbekannt”, kritisiert Florian Freistetter.

Dass Wolfram Alpha alle Suchergebnisse – auch reine Texte! – als GIF-Grafikdateien ausgibt, monieren Web-Designer. Natürlich sind bei der Darstellung von Grafen und manchen mathematischen Formeln Grafiken wohl kaum zu vermeiden. Durchgängig auf Barrierefreiheit zu verzichten, ist allerdings wenig sympathisch.

Die ersten Tage Wolfram Alphas zeigen damit vor allem eines: Diese Datenbank wird sich so manchen Vergleich mit Wikipedia gefallen lassen müssen – und schneidet dabei bislang trotz überlegener Analyse- und Präsentationssoftware schlechter ab. Sowohl was Umfang, Tiefe, Bedienbarkeit als auch zum Teil sogar Genauigkeit der Quellenangaben betrifft.

Natürlich kann sich all das im Lauf der Zeit verbessern. Das System müsste nur gefüttert und ausgebaut werden, dann könnte es irgendwann wirklich beeindruckend werden.

Das ist allerdings ein Problem, das in den neunziger Jahren schon Yahoo mit seinen vielen Suchmaschinen-Redakteuren hatte. Um solch ein System auszubauen, muss man viel Geld in menschliche Arbeitskraft investieren. Menschen müssen Daten in Wolfram Alpha einpflegen, testen, anpassen. Wer soll das bezahlen?

“Forbes” hat im Code der Wolfram-Alpha-Seiten einen Hinweis auf “Featured Sponsors” entdeckt – also Sponsoren, die Ergebnisse auf der Seite präsentieren könnten. Noch gibt es sie nicht. Der lakonische Kommentar von “Forbes” dazu: “Das Sponsoring-Geschäftsmodell ist nichts Neues und sicher nicht so innovativ wie der neue Ansatz der Suchanfragenberechnung.”


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert