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World. Wide. Weg. (Tagesspiegel, 27.03.2002)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

World. Wide. Weg

Wer bei der renommierten Suchmaschine Google nach kritischen Informationen zu Scientology sucht, darf länger surfen

Tagesspiegel, 27.03.2002

Noch vor einem Jahr war es Satire: Der Amerikaner Edward Kersten hatte das Frowny genannte Symbol „:-(“ als Warenzeichen registrieren lassen und drohte, jeden unerlaubten Gebrauch zu verfolgen. Nach einigen Wochen hatte sich im Internet herumgesprochen, dass Kesten den Frowny zwar tatsächlich erfolgreich beim amerikanischen Patent- und Markenamt geschützt, dabei aber eher Satire als Profit im Sinn hatte. Heute zeigt sich, wie berechtigt diese Aktion war. Mit Hilfe des Urheberrechts ließ Scientology in der vergangenen Woche die Internet-Seiten ihres norwegischen Kritikers Andreas Heldal-Lund aus der Suchmaschine Google entfernen – ganz legal und doch ohne die Entscheidung eines Gerichts.

Am 8. März erhielt die US-Niederlassung von Google eine E-Mail von der Anwaltskanzlei Moxon & Kobrin aus Los Angeles mit der Aufforderung, 126 Internetseiten aus dem Suchindex zu entfernen. Ein Anhang listet die einzelnen Seiten und die dort verwendeten, urheberrechtlich geschützten Inhalte auf. Dazu zählen unter anderem 85 Texte. Andreas Heldal-Lund zitiert auf seiner Seite zum Beispiel aus angeblichen internen Scientology-Dokumenten, die eine „dead agenting“ genannte Technik beschreiben, mit der Kritiker gezielt diskreditiert werden sollen. In der E-Mail an Google wird der Wahrheitsgehalt dieser Ausführungen nicht bestritten. Stattdessen verweisen die Anwälte darauf, dass ihre Klienten, nämlich das „Religious Technology Center“ und „Bridge Publications“, das Urheberrecht an diesen Unterlagen besitzen und einer Veröffentlichung nicht zugestimmt haben. Auch würden 54 eingetragene Warenzeichen Scientologys – dazu gehören zum Beispiel Begriffe wie Scientology, Dianetics und Hubbard – ohne Genehmigung verwendet.

Der Suchdienst Google teilte daraufhin am 20. März in einer E-Mail Heldal-Lund mit, dass alle von der Kanzlei erwähnten Seiten aus dem Suchindex entfernt wurden. Mit anderen Worten: Wer am 20. März bei einer der größten und renommiertesten Suchmaschinen nach kritischen Informationen zu Scientology suchte, erfuhr nichts von einem der umfangreichsten Angebote.

Heldal-Lund machte diesen Vorgang am 21. März in einem Internet- Diskussionsforum öffentlich. Ein Proteststurm brach los. Vermutlich aufgrund dieser Kritik entschloss sich Google, die wichtigste der betroffenen Seiten, www.xenu.net, wieder in seinen Suchindex aufzunehmen.

Der Vorgang zeigt, wie schmal der Grat zwischen legitimer Verfolgung von Urheberrechtsverstößen und Zensur ist. Andreas Heldal-Lund gibt selbst zu, urheberrechtlich geschütztes Material zu verwenden. Allerdings sieht er sich im Recht, weil seiner Meinung nach „Scientology mit Hilfe des Urheberrechts Informationen über die Lehren des Gründers vor der Öffentlichkeit zurückhält“. Die Rechtmäßigkeit dieser Argumentation ist nie vor Gericht überprüft worden. Eine Abwägung zwischen dem Recht Scientologys auf den Schutz geistigen Eigentums und dem Recht der Öffentlichkeit auf Information, war gar nicht nötig, um die Seiten aus dem Suchindex von Google zu entfernen. Der Grund dafür ist das „notice and take down“-Verfahren, das sowohl der amerikanische „Digital Millenium Copyright Act“ als auch das deutsche Informations- und Kommunikationsdienstegesetz und die europäische E-Commerce-Richtlinie vorsehen: Ein Service-Provider ist nicht haftbar für Inhalte, die er ohne sein Wissen zur Verfügung stellt.

Wenn ihn nun aber ein Rechteinhaber darauf hinweist, dass er geschützte Inhalte verfügbar macht, steht der Provider vor einer schweren Entscheidung: Entweder sperrt er die Inhalte. Dann kann er nicht haftbar gemacht werden, wenn ein Gericht später eine Urheberrechtsverletzung feststellt. Oder er wartet ab, bis der Rechteinhaber gegen jemanden wie Andreas Heldal-Lund vorgeht. Stellt dann aber ein Gericht fest, dass Urheberrecht verletzt wurde, ist auch der Service-Provider haftbar. So schwer fällt vielen Service-Providern die Entscheidung nicht: Sie sperren lieber kritische Inhalte, als Haftungs-Risiken einzugehen. Die Folge ist, dass es Kritikern immer schwerer fällt, die Öffentlichkeit zu erreichen. Heldal-Lund will nicht gegen die Sperrung vorgehen, da er sich die Anwaltskosten nicht leisten kann.

In den vergangenen Jahren gab es ähnliche Fälle. Im August 2001 erwirkte das Pharma-Unternehmen Huntigdon Life Sciences, dass der Internet-Provider Envirolink die Seiten der Tierschutz-Gruppe „Stop Huntigdon Animal Cruelty“ sperrte. Dort waren auch Videoaufnahmen aus den Tierlabors des Unternehmens zu sehen. Microsoft stoppte im Mai 2000 auf eben diesem Weg Diskussionen im Internetforum Slashdot, bei denen Programmierer mit Quelltexten eines Microsoft-Programms angebliche Versuche einer Monopolbildung belegen wollten.

Die Scientology-Anwältin Helena Kobrin kommentierte ihr Vorgehen gegen Heldal-Lund so: „Wir missbrauchen das Gesetz nicht, wir gehen sehr streng nach den Vorgaben des Urheberrechts vor.“ Da hat sie natürlich Recht, doch was sagt dies über die Güte der entsprechenden Gesetze aus?

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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