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Youtube-Betrug: Fast zu schön um wahr zu sein (Spiegel Online, 7.5.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Youtube-Betrug

Fast zu schön um wahr zu sein

Nutzer zweifeln gern an der Echtheit des Youtube-Stars "Greenteagirlie". Schleichwerbung? Es tauchen Verbindungen zu einem Teehändler und einer Werbeagentur auf. Jetzt kommt heraus: Die Betrugshinweise waren gefälscht, die Videos sind höchstwahrscheinlich echt.

Spiegel Online 7.5.2007

Blaue Augen, dunkelblonde Haare, braune Haut, strahlend weiße Zähne und 170.000 Zuschauer an ihrem ersten Tag auf YouTube – das kann nur eine Schauspielerin sein. Das glauben zumindest viele Youtube-Nutzer, die am 25. März den 10-Sekunden-Film von Greenteagirlie auf dem Videoportal sehen. Die 20jährige Teeverkäuferin aus dem Mittleren Westen begrüßt ihre Zuschauer: "Hallo, ich bin neu hier. Ich hoffe, ihr heißt mich willkommen." Das tun nur wenige. Von Anfang an wird Kallie Annie verdächtigt, eine Schauspielerin, Schleichwerberin, Lügnerin zu sein. Das Misstrauen ist Normalzustand im Web 2.0.

Schon die Kommentare zu Greenteagirlies erstem Video sind voller Verdächtigungen: "19.000 Zuschauer, 26 Kommentare – Betrügerin!" Einen Tag später antwortet sie in einem neuen Video, in dem sie sich Kallie Annie nennt. Enttäuscht sei sie, dass "so viele über mich urteilen, ohne mich zu kennen." Aber: "Ich nehme mir das nicht zu Herzen, es soll so sein, wenn das die YouTube-Erfahrung ist." So scheint es. Die Atmosphäre auf dem Videoportal ist vergiftet, eine Hexenjagd beginnt: Schon am zweiten Tag nach Greenteagirlies Youtube-Debut vergleichen Nutzer sie mit dem legendären YouTube-Betrug vom vorigen Mai: "Das nächste lonelygirl15???", fragt ein Kommentator rhetorisch.

Seit einem Jahr herrscht das Misstrauen

Lonelygirl15 war voriges Frühjahr einige Monate lang der Youtube-Star schlechthin. Bis drei Filmstudenten sie Ende August als Fälschung entlarvten, als Schauspielerin Jessica Rose, die das einsame Mädchen von 16 Jahren gegen Bezahlung mimte. Als damals im Mai ihre ersten Videos bei Youtube auftauchten, vertrauten die meisten Nutzer den Bildern. Sie glaubten das Märchen des einsamen Teenagers irgendwo aus dem US-Hinterland, wo sie im Elternhaus unterrichtet wird, kaum Freunde hat, selten Gleichaltrige trifft . Im Juni tauchten erste skeptische Kommentare auf, monatelang diskutierten Fans und Skeptiker, bis die Täuschung Ende August enttarnt wurde.

Seitdem regiert das Misstrauen bei Youtube. "Warum hörst du nicht auf, die Youtube-Gemeinschaft zuzumüllen und verrätst deine wahren Absichten?" fordern Kommentatoren von Greenteagirlie. Ihr Misstrauen schien berechtigt zu sein: Am 26 März wird um 21:14 Uhr die Webadresse GreenTeaGirlie.com registriert. Name und Adresse des angeblichen Besitzers verändern sich in den folgenden Wochen häufig. Erst ist es angeblich eine Firma aus Peking, dann ein Unternehmen aus San Francisco.

Wirbt GreenTeaGirlie für einen Teehänder?

Und plötzlich leitet die Seite GreenTeaGirlie.com Besucher zum Online-Teeladen Dragonwater.com um. Ein gefundenes Fressen für das Youtube-Publikum: Nun scheint völlig klar, dass und für wen Greenteagirlie Werbung macht. Allein: Am 1. April bestreitet Dragonwater-Gründer Gary Gause heftig jede Verbindung: "Das ist ein genialer Marketing-Trick, wenn es einer ist. Aber ich bin nicht so gut."

Wenig später verweist die GreenTeaGirlie.com auf eine andere Domain, vidstars.com. Hier verspricht eine ominöse Agentur, Produkte als Schleichwerbung in den Videos von Youtube-Stars unterzubringen. Und es wird noch verwirrender: In ihrem Youtube-Profil verweist Greenteagirlie auf eine ganz andere Seite: kallieannie.com, wo sie verrät: dass sie 20 Jahre alt ist, als Verkäuferin in einem Einkaufszentrum arbeitet, dort grünen Tee anbietet. Auf GreenTeaGirlie.com steht dann eine ganz andere Biographie: Sie sei 22 und studiere in Kalifornien.

Völlige Verwirrung auf Youtube

Schleichwerbung, widersprüchliche Biographien, dementierende Unternehmen – die Folge: völlige Verwirrung auf Youtube. Die Zuschauer beschimpfen Greenteagirlie weiter. Andere loben ihre schönen Augen und scheren sich überhaupt nicht um die Zweifel: "Ist mir egal, ob du etwas verkaufst oder nicht, du bist lustig und unterhaltsam." So geht es einen Monat lang weiter, niemand weiß etwas genaues, jeder hat eine Meinung und die meisten sind sehr misstrauisch.

Wie es wirklich gewesen ist, steht seit vorigem Freitag fest. Zumindest ist die Recherche der Los Angeles Times überzeugend. Ihr Reporter hat die Urheber der beiden konkurrierenden Webseiten recherchiert und das echte Greenteagirlie ans Telefon bekommen. Es gibt sie tatsächlich, sie verkauft Tee in einem Einkaufszentrum in Salt Lake City.

Wie ein Freund Greenteagirlie groß bei Youtube rausbrachte

Ihr Freund Christopher Sams habe ihr beim Einstellen der Videos und der Website geholfen. Und Sams war es auch, der vermutlich mit Hilfe falscher MySpace-Konten die Zuschauerzahlen von Greenteagirlies erstem Youtube-Film nach oben trieb. Ihren wahren Namen will sie nicht preisgeben, Kallie Annie ist ein Pseudonym – so die Recherche der Los Angeles Times. Die Website GreenTeaGirlie.com hingegen hat der 18-jährige Matthew Foremski registriert, er hat auch die Verwirrung Dragonwater und vermeintliche Schleichwerbung gestiftet. Bewusst.

Er wusste, was er da anrichte würde, welche Aufmerksamkeit diese vermeintliche Schleichwerbe-Enthüllung bekommen würde. Denn Matthew Foremski ist einer der Youtube-Nutzer, die voriges Jahr die wahre Identät von Lonleygilr15 enthüllt haben. Vorigen Mai deckte er einen Betrug auf, dieses Mai hat er einen geschaffen.

Forenskis Vater, der ehemalige Silicon-Valley-Korrespondent der Financial Times Tom Forenski, kommentiert die Geschichte in seinem Branchen-Blog Siliconvalleywatcher: "Was geschieht, wenn es nicht genug Wachhunde gibt, die Betrug erkennten und den Wahrheitsgehalt von Online-Inhalten prüfen? Wird Misstrauen unser einziger Schutz sein?" Wenn das so ist, haben alle Online-Gemeinschaften ein Problem. Die Folgen kann man derzeit bei Youtube beobachten: Die Kommentare auf Greenteagirlies Seite bleiben negativ: "Verschwinde von hier, schnell." Und: "Du bist ein Roboter!"

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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