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Zaubertrunk Männerbund (taz-Ruhr, 24.12.1998)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Zaubertrunk Männerbund

Der Druide von heute informiert sich in gepflegter Atmosphäre über Cholesterin. Und lernt nebenbei andere kennen, die was geworden sind.

taz-Ruhr, 24.12.1998

Die Sichel reflektiert das fahle Mondlicht. Es ist der sechste Tag im Mondzyklus, irgendwo in Gallien kurz vor dem Jahre Null. Mistelerntezeit. Eichen ragen düster in den Nachthimmel, dazwischen Männer in weißen Roben: Druiden. Ihr Anführer streckt die Sichel empor, sie schnellt im Halbkreis herab, Misteln fallen vom Eichenzweig. Das Ernteritual ist beendet, das Stieropfer kann beginnen.

Mittwochabend in Essen- Rüttenscheid, gut zweitausend Jahre später. Vereinsabend der Druidenloge Schwarzer Diamant.. Der Bewegungsmelder läßt grelles Scheinwerferlicht aufblitzen. Die Hofeinfahrt liegt gegenüber vom Plus- Supermarkt, an der Seite prangt das Logensymbol: Ein siebenstrahliger schwarzer Stern. In der Hofdurchfahrt strahlen die hellen Scheinwerfer. Auf dem Hof ragen Bambushalme in den Abendhimmel. Dahinter ein zweigeschossiges Haus, das Logenheim.

Ein älterer Herr öffnet die Tür. Grauer Anzug. Brille. Vom Typ her eher Geschäftsführer denn Druide. Er begrüßt den unbekannten Gast des Logenabend, schüttelt freundlich die Hand.

Seit mehr als 200 Jahren gibt es wieder Druiden. Der "Vereinigte Alte Orden der Druiden" wurde 1781 in London gegründet. Anders als ihre keltischen Vorbilder zur Zeit Christi sind die Ordensbrüder nicht Anhänger einer Religion. Sie fühlen sich vielmehr den Idealen Humanität, Wohltätigkeit und Toleranz verpflichtet. Wie die Freimaurer sind sie in Logen organisiert. An die 70 gibt es in der Bundesrepublik. An den wöchentlichen Logenabenden hören die Mitglieder Vorträge und diskutieren. Das jahrhundertealte Ritual der Innenloge steht allerdings nur den Vollmitgliedern offen – die Anwärter müssen außerhalb des Zeremonienraums warten.

Es ist halb Acht. Der Clubraum im Keller des Logenheims füllt sich. Die eintreffenden Brüder, alle in Anzug, die meisten mit ergrautem Haar, grüßen einander mit Vornamen. 33 Druiden gehören zur hiesigen Loge: Schreiner, Vorstandsvorsitzende, Polizisten, Anwälte. Ihr Durchschnittsalter: 55 Jahre. Einige lehnen an der Mahagoni- getäfelten Bar, plaudern über Aktienkurse. Unter ihnen Gianni Sarto. Er hat langes, lockiges Haar, trägt eine graue Seidenkrawatte zu dezenten Nadelstreifen. Der 40jährige ist Künstler. Er entwirft Kimonos. Zur Loge kam er vor fünf Jahren, nachdem ein Geschäftsfreund ihn eingeladen hatte. Ein halbes Jahr war er Anwärter, dann stimmte die Loge seiner Aufnahme zu. Seitdem kommt Sarto fast zu jedem Logenabend: "Hier kann man sich austauschen, ohne durch gesellschaftlichen Hierarchien eingeschränkt zu werden", berichtet er.

Weiter hinten im Clubraum ist ein Kamin, daneben steht ein siebenarmiger Kerzenleuchter. In einem der weinroten Ledersessel versinkt Heinz Vogel. Kurze graue Haare, Stoppelbart, Sakko. Druide ist der 45jährige Wohnungsmakler seit fünf Jahren. "Ich suchte interessante Gespräche in gepflegter Atmosphäre statt des üblichen Kneipengeklatsches", erzählt er. Über eine Annonce wurde er auf die Loge aufmerksam, kam als Gast – und wurde nach einem halben Jahr Bruder.

Mittlerweile ist es kurz vor Acht. Etwa 20 Druiden sind versammelt, gleich beginnt die Zeremonie der Innenloge. In einem fensterlosen Raum im hintersten Teil des Kellers. Auf blauem Samtteppich steht in der Mitte des Raumes ein Druidenstein aus Granit. Darauf liegen Misteln, Kohle und eine Sichel. Dahinter sieben Kerzen auf einem Holzpult mit den Buchstaben EFE – Einigkeit, Frieden, Eintracht. An den Seitenwänden stehen Stühle für die Ordensbrüder, an den Kopfenden des Raumes Sitze für Edelerz (Vorsitzender), Untererz und die übrigen höheren Druiden. Darauf liegen weiße Roben für die Zeremonie.

Was hier drin gleich passiere, sei nichts "religiöses oder ersatzreligiöses" , sondern "ein Ritual, das Form und Tiefe verleiht", betont Edelerz Rolf Oesterheld. Man dürfe von Druidentum und Vertraulichkeit nicht auf Okkultismus schließen: "Die alten Druiden waren für die Ordensgründer als Friedensstifter und Weise Leitbilder. Und zur Gründungszeit war es lebensgefährlich seine Meinung offen zu sagen". Auch heute abend bleibt während der Zeremonie die Tür fest verschlossen. Der Gast darf nicht mir in den Raum.

Auch Dirk Schröder muß draußen bleiben. Seit einem Jahr kommt nun schon als Anwärter. Heute wird über seine Aufnahme entschieden. Der Unternehmer freut sich auf "Gespräche jenseits von Bier und Fußball", einen "Kreis, der nicht auf Oberflächliches achtet." Ein Verwandter hatte ihn zum Logenabend eingeladen. Seine Brüder in spe findet er schon etwas verschworen, aber: "Die haben alle etwas aus ihrem Leben gemacht."

Nach einer halben Stunde öffnet sich die Tür. Die Brüder entschwinden, bewaffnet mit Wein, Bier und Cola, gen Außenloge ins Erdgeschoß. Dort leuchten Monde, siebenstrahlige Sterne und Sicheln von den Wänden herab. Weiße Roben trägt keiner mehr. Und statt der Mistelernte steht ein Vortrag auf dem Programm, wie an jedem Logenabend. Diesmal über Cholesterin.

Dirk Schröder strahlt. Die Brüder werden ihn aufnehmen. Vielleicht geht es für ihn bald los mit dem Mistelnernten. Wer weiß das schon – außer den Eingeweihten.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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