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Mac-Guru Raines Cohen: Der Herr der 500 Apple-Hemden (Spiegel Online, 7.1.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Mac-Guru Raines Cohen

Der Herr der 500 Apple-Hemden

Er war auf mehr Mac-Messen als Steve Jobs: Raines Cohen hat ein Vierteljahrhundert lang fast jedes Apple-Treffen in den USA besucht und Anzugträger erschreckt. Seine Sammlung von Apple-Shirts hat er verschenkt – die Heimcomputer-Revolution ist vorbei, glaubt Cohen.

Spiegel Online, 7.1.2009

San Francisco – Es ist kalt und verregnet in San Francisco Anfang Januar, also hat sich Raines Cohen für seine 24. Apple-Messe in dieser Stadt notgedrungen dezent angezogen: Ausgetretene Turnschuhe, neongelbe Regenjacke, dicker Pullover und darunter versteckt ein Apple-Hemd aus Cohens Sammlung: weiß, langärmelig und über dem Herzen ein kleines buntes Apfel-Logo.


Cohen, der seit der ersten Macworld Expo 1985 jede Apple-Messe besucht, die in San Francisco zu besuchen war, erinnert sich genau, wann er dieses Hemd gekauft hat: "Das war Anfang 1998, bevor Steve Jobs das alte Logo geändert hat." Der buntgestreifte Hippie-Apfel, der ab 1976 für das Gegenkultur-Image Apples stand, wurde damals von dem einfarbigen Logo abgelöst, mit dem die Firma wieder zum Erfolgskonzern wurde.

25 Jahre Apple-Jünger

Raines Cohen, 42 und heute Berater für gemeinnützige Wohnprojekte,
hat 1984 im kalifornischen Berkeley an der Universität eine der größten
Apple-Anwendergruppen überhaupt gegründet. "Wir wollten uns gegenseitig
zeigen, wie man das Beste aus den Möglichkeiten der neuen Technik
macht", sagt er. Für die "Berkeley Mac Users Group" (BMUG) hat Cohen im
vergangen Vierteljahrhundert fast alle Apple-Messen in den Vereinigten
Staaten erlebt, Hunderte von Anwendergruppen-Treffen besucht, während
er nebenher sein Geografiestudium abschloss. Und Cohen hat von fast
jeder Veranstaltung T-Shirts und Hemden mitgebracht, weit mehr als 500
müssen es sein.

T-Shirts sind ein interessanter Teil der Geek-Kultur: Die Veranstalter
von Messen und Anwender-Treffen, aber auch Unternehmen, die neue
Produkte vorstellen, oder Entwickler, die an einem neuen Projekt
arbeiten, widmen diesem Anlass selbstgestaltete T-Shirts, die an die
Teilnehmer verschenkt oder verkauft werden. Und so gibt für fast jedes
noch so kleine und große Ereignis in der IT-Geschichte ein eigenes
T-Shirt.

T-Shirt-Spende für die Stanford-Sammlung

Cohen hat einen großen Teil seiner Sammlung 2002 der Bibliothek der
Stanford University geschenkt, die eine Sammlung von
Apple-Devotionalien betreut. Die Spende bereicherte sie um einen
wichtigen Aspekt: Die inoffizielle, nicht von Apple selbst geschriebene
Geschichte der Mac-Kultur.

Stanford-Bibliothekar Alex Soojung-Kim Pang erklärte dem US-Magazin
"Wired", T-Shirts seien "die Tonscherben des digitalen Zeitalters",
Cohen sei einer der wenigen Menschen, die "von Anfang an Teil der
Mac-Geschichte, Teil der ohne Apple-Einfluss um den Mac herum
gewachsenen, lebendigen Kultur sind".

Deshalb kann er anhand von T-Shirts Geschichten über die Distanz
zwischen Apple und den Mac-Jüngern erzählen: Das rot-weiße
BMUG-Batik-Shirt zum Beispiel, mit dem sich die Anwendergruppe 1989 auf
der Macworld Expo in Washington von den Anzugträgern aus Behörden,
Ministerien und Militär abhob, die die Messe dominierten.

Die ungeschriebene Mac-Geschichte

Oder die von der Messe, bei der Apple-Angestellte Cohen 1992 vom
Stand verwiesen, weil er ein Hemd trug, das sich über das neue
Mac-Betriebssystem 7.1. amüsierte, das den Speicherhunger und die
Trägheit des Vorgängers 7 abstellen sollte. Auf der Vorderseite von
Cohens T-Shirt stand "System 7.1 sucks less" (sinngemäß: "System 7.1.
ist nicht mehr ganz so großer Mist"), auf dem Rücken "We’ve upped our
standards – up yours" (sinngemäß "Wir haben unsere Standard angehoben –
ihr könnt uns mal").

Entworfen hatten dieses T-Shirt laut Cohen Apple-Programmierer. Die
hatten offenkundig mehr Humor als die Marketing-Verantwortlichen im
Unternehmen. Cohen fällt sogar noch der Name von einem der daran
beteiligten Programmierer ein. Wenn jemand weiß, wie die
Mac-Gemeinschaft tickt und wie sie sich verändert hat, dann Cohen. Zum
Rückzug Apples von der Traditionsmesse Macworld hat er eine
überraschende Meinung: "Die Messe hatte ohnehin eine Neuerfindung
nötig."

Ein bisschen 1985 wäre gut

Die kleineren Unternehmen hätten noch kaum Aufmerksamkeit bekommen,
das könnte sich bei einer kleineren, auf die an dem Gemeinschaftsgefühl
interessierten Fans ausgerichteten Macworld Expo ändern. Wenn es ein
bisschen wird wie 1985, hätte die Mac-Messe vielleicht auch ohne Apple
eine Chance.

Damals, erzählt Cohen, "wollten die Menschen einfach gemeinsam
ausprobieren, was man alles mit so einem Heimcomputer machen kann". Die
Besucher begeisterten sich für heute längst vergessene Technikwunder.
1985 war der Thunderscanner ein Publikumsmagnet – zwei Ingenieure
hatten Apples Nadeldrucker Imagewriter zu einem vergleichsweise
billigen Scanner umfunktioniert, indem sie den Druckkopf gegen einen
Sensor tauschten. Das Gerät digitalisierte eingelegte Ausdrucke Zeile
für Zeile – und brauchte eine Stunde pro Blatt.

Keine Nostalgie, nur Anekdoten

Cohen verklärt die Vergangenheit nicht, schimpft nicht über die
Gegenwart, er ist dafür viel zu rege, viel zu aktiv im hier und jetzt.
Er verschränkt die Arme hinterm Kopf, dann über den Knien, die Augen
huschen hin und her, er erzählt drauflos. Über die großen Dinge, ob
Apple nun wirklich die Welt verändert hat, wie die Werbung und viele
Fans behaupten, mag er nicht spekulieren. Apple habe das Marketing
revolutioniert, sehr einfach zu benutzende Computer gebaut und in der
Werbung gezeigt, dass es cool ist, Computer zu benutzen.

So viel zur Revolution.

Richtig begeistert ist er vom Günstig-Laptop OLPC der Initiative
"One Laptop Per Child" – das sei ein "revolutionäres Gerät wie die
Heimcomputer und die Macs damals". Denn: Der OLPC ist der erste
Computer, den Menschen in Händen halten werden, die sonst wohl nie
einen Rechner benutzen würden.

Mac als Erdbebenhilfe

Anders als viele Apple-Prediger hat Cohen den großen Traum der
Technik-Utopisten, mit Computern die Gesellschaft zu verändern, ganz
konkret verwirklicht. 1989 zum Beispiel, als ein Erdbeben die Bucht von
San Francisco erschütterte und mehr als 60 Menschen tötete.

Cohen half dem Roten Kreuz mit ein paar Macs und Netzwerkkabeln, die
er aus dem Fundus der BMUG spendende, binnen 24 Stunden eine Datenbank
aufzubauen. An zehn in einem Netzwerk zusammengeschlossenen Macs
tippten Menschen Details zu mehr als tausend freiwilligen Helfern ein –
Sprachkenntnisse, Ausbildung, wie lange sie schon auf den Beinen waren.

Als Computer zum Alltagsgegenstand wurden, suchte sich Cohen eine
neue Aufgabe. Heute berät er mit seiner Frau, einer Stadtplanerin,
Menschen, die sogenannte Cohousing-Siedlungen gründen wollen –
Gemeinschaften mit Privatwohnungen und gemeinsam angelegten und
betriebenen Einrichtungen wie Kindertagesstätten oder Bibliotheken.
Cohen: "Was ich in den Anwendergruppen über Selbstorganisation gelernt
habe, hilft den Leuten, einen Weg finden, zusammenzuleben und das Beste
aus den Möglichkeiten zu machen."

So wie damals aus dem Mac.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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