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US-Glaubenskrieg im Web: Sie verhöhnen Gott auf YouTube (Spiegel Online, 2.5.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

US-Glaubenskrieg im Web

Sie verhöhnen Gott auf YouTube

US-Dokumentarfilmer Brian Flemming ruft dazu auf, per Webvideo die ultimative Gotteslästerung zu begehen. Mehr als 1200 Filme sind bereits online. Christen kontern mit der YouTube-Kampagne "Praise the Lord". Jetzt wird der Streit im US-Fernsehen weitergetrieben.

Spiegel Online , 2.5.2007

Brian Flemming ist Atheist. Aber er zieht voller Inbrunst in einen Kreuzzug, seinen Kreuzzug gegen Gott: "Bis zum Ende des Christentums" will er kämpfen, sagt der 41-jährige Dokumentarfilmer aus Los Angeles oft. Binnen vier Monaten hat er es dank einer Kampagne auf dem Videoportal YouTube in eine der beliebtesten Nachrichtensendungen Amerikas geschafft.

Diesen Samstag wird Flemmings "Blasphemy Challenge" Gegenstand der ABC-Show "Nightline" sein: Zwei christliche Prediger versuchen, die Existenz Gottes zu beweisen. Zwei Atheisten aus Flemmings "Rational Response Team" halten dagegen. Der Anlass: Nach einem Aufruf Flemmings haben mehr als 1250 Menschen in YouTube-Videos Gott verhöhnt. Darunter sind viele Jugendliche, viele gläubig Erzogene. Alex zum Beispiel, der bekennt: "Ich war ein christlicher Fanatiker. Ich bin zur Erkenntnis gekommen, dass es keinen Gott gibt."

Alles begann mit einer Weihnachtsbotschaft Flemmings: Wer in einer Videobotschaft "Ich leugne den Heiligen Geist" sage, diese bei YouTube einstelle und den Link an Flemming maile, bekomme als Dankeschön eine DVD mit Flemmings Dokumentarfilm "The God Who Wasn’t There". Hintergrund: Im Markus-Evangelium heißt es an einer Stelle (3,29): "Wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften." Den Heiligen Geist zu verhöhnen, ist in Flemmings Augen also die ultimative Gotteslästerung.

Ob das nun stimmt, ob man für diese Videobotschaften wirklich in die Hölle kommt – so es sie denn gibt – das ist unter Theologen umstritten. Beachtet man den Kontext dieser Bibelstelle, bezieht man andere Zitate in die Interpretation ein, ist das mit der ewigen Verdammnis nicht ganz so einfach.

Aber an solch einer gründlichen Bibelauslegung liegt weder Flemmings Mitstreitern noch ihren christlichen Widersachern: Als Reaktion auf die "Blasphemy Challenge" haben Mike Mickey, ein Polizist aus Virginia, und Steve Buchanan, ein Schreiner aus Kentucky, das Projekt "Challenge Blasphemy" gestartet: "Christen, bereitet euch auf den Kampf vor", ruft ihre Website zur "Praise The Lord Challenge" auf. Und der Baptist Mickey "betet für die Seelen" der Gotteslästerer und betreibt nebenher noch die Website RaptureAlert.com, die Jesus Christus baldige Wiederkehr verkündet und Hinweise dafür sammelt.

"Wir kämpfen nicht Mann gegen Mann, das ist eine spirituelle Auseinandersetzung", sagte einer der Mitstreiter von "Challenge Blasphemy" der "New York Times". Ihr Aufruf: Bekennt euch auf YouTube zu Gott. Und das tun sie. Auch unter den Gläubigen sieht man vor allem Teenager. Chelsea etwa, die bekennt: "Gott ist wirklich, er ist ein Teil meines Lebens, jeden Tag." Und sie warnt die Ungläubigen: "Sogar Dämonen glauben an Gott und zittern vor ihm."

Inhaltlich bietet die gesamte Debatte nichts Neues. Beide Seiten folgen einer simplen Logik: Je leidenschaftlicher und lauter sie ihre Wahrheit behaupten, desto überzeugender wirken sie. Neu ist, dass man auf YouTube diesen Furor auch bei ihren Anhängern beobachten kann. Früher war der allein bei den Sprechern, beziehungsweise Predigern zu beobachten. Flemming, von den Eltern in eine Methodisten-Schule gesteckt, während des Studiums zum Atheisten geworden, bekennt sich zur Intoleranz gegenüber Gläubigen. Wie er der "New York Times" sagte: "Ich toleriere nicht das Außerkraftsetzen der Vernunft."

Der Stand bisher: Die Atheisten haben in vier Monaten 1250 Videos eingestellt, 22.193 Kommentare erhalten und 377.724 Zuschauer gehabt. Die Gläubigen haben es in zwei Monaten auf nur 25 Video-Bekenntnisse und 5169 Zuschauer gebracht. Doch mit ihrem YouTube-Streit haben beide Gruppen es in die Nachrichtensendungen von CNN, Foxnews und ABC gebracht.

Am kommenden Samstag wird der Sender ABC in New York eine Diskussion zwischen zwei Atheisten und dem Laienprediger und Sachbuchautor Ray Comfort sowie dem Schauspieler und wiedergeborenen Christen Kirk Cameron aufzeichnen. Comfort will die Existenz Gottes beweisen, das Ganze wird live im Web übertragen, ein Zusammenschnitt läuft dann in der Nachrichtenshow "Nightline".

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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